Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
werden konnten.
Nolan stand ein wenig abseits und hatte sich noch immer nicht vom Fleck gerührt. Sein Blick wanderte von dem Stockdegen, den er in der Hand hielt, zurück zu seinen Freunden, die sich jedes Mal, wenn sie von einem Schlag umgeworfen wurden, wieder aufrappelten. Eine Welle der Scham verdrängte seine Angst, und plötzlich packte ihn solche Wut, dass er seine Waffe umklammerte und auf die Bestie zulief, ohne zu bemerken, dass er dabei laut brüllte. Kaum hatte sie ihm die furchterregenden Augen zugewandt, rammte er ihr den Degen in den Magen. Ein Schwall Blut quoll hervor. Gleich darauf versetzte sie ihm einen heftigen Schlag gegen die Schulter und fegte ihn zu Boden. Nolan ließ sich von den blutigen Striemen auf seinem Arm nicht beeindrucken und sprang sofort hoch, um erneut anzugreifen. Wie wild schlug er zu, immer heftiger und verzweifelter, je näher ihm das geifernde Maul kam. Jeden Augenblick, den er standhielt, schien er dem Tod abzuringen, seinem Tod, und irgendwann hatte er das Gefühl, nicht mehr nur gegen eine Bestie zu kämpfen, sondern einen heiligen Feldzug zu führen, gegen alle, die Eurydis nach dem Leben trachteten, gegen alle Dämonen und Dämonenanbeter der Welt. Und mitten in diesem Blutbad, in dem er eine Kühnheit und Kraft entwickelte, wie er sie noch nie an sich erlebt hatte, kam ihm plötzlich ein seltsamer Gedanke. Zum ersten Mal fragte er sich, ob nicht er selbst der Erzfeind war.
Niss hörte zwar, dass um sie herum der Kampf tobte, und blickte sogar kurz von Eryne zu Zejabel und Kebree, die die goronischen Angreifer zurückzudrängen versuchten, aber sie konnte an nichts anderes denken als an ihren Großvater, der fünfzehn Schritte unten ihr lag.
Wie in Zeitlupe hatte sie ihn fallen gesehen und beobachtet, wie sich auf seinem Gesicht Überraschung und Entsetzen abzeichneten. Dann hatte ihn der dunkle Abgrund verschluckt, bis sein Körper wenige Augenblicke später mit einem dumpfen Geräusch, das ihr durch Mark und Bein ging, am Boden aufschlug. Seither konnte sie nur hilflos auf die reglos daliegende, vom fahlen Licht der Sterne beschienene Gestalt hinunterstarren.
So sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, sie sah einfach keine Möglichkeit, zu ihm in die Gasse zu gelangen. Der einzige Weg hinunter führte durch das Treppenhaus, durch das die Angreifer strömten – es sei denn, sie stürzte sich ebenfalls vom Dach. Beides wäre wohl lebensmüde. Dass sie nichts tun konnte, machte sie schier wahnsinnig: Es blieb also nur zu hoffen, dass ihre Freunde die Goroner besiegten und die abscheuliche Kreatur nicht vom anderen Dach herübersprang. Sie betete darum, dass ihr geliebter Großvater den Sturz ohne größere Verletzungen überstanden hatte und durchhalten würde, bis seine Freunde ihn retteten. Während sie stumm um sein Leben flehte, sah sie plötzlich eine Bewegung in der angrenzenden Straße. Sie erschauerte, als zwei Unbekannte in die Gasse einbogen. Die Männer trugen zwar lange Mäntel, aber keine Masken. Waren sie etwa harmlos und würden Bowbaq vielleicht sogar zu Hilfe kommen?
Mit pochendem Herzen verfolgte sie, wie die Goroner auf ihn zutraten und sich über ihn beugten. Doch dann schlug die aufkeimende Hoffnung in blanke Angst um: Einer der Unbekannten zog ein Schwert!
Ohne zu überlegen, verließ Niss ihren Körper und schlüpfte in den Geist des Bewaffneten. Sie hatte ihre Gabe nicht verloren. Trotz der Panik des Mannes schaffte sie es, in die Tiefen seiner Gedanken vorzudringen und die Kontrolle über seinen Körper zu gewinnen. Es war nicht schwerer als bei einem Tier. Mit einem Mal war Niss nicht mehr auf dem Dach und starrte hinunter, sondern sah durch die Augen des Goroners, der mit dem Schwert in der Hand neben Bowbaq stand. Gerade wollte sein Begleiter auf den wehrlos daliegenden Riesen einstechen, da hielt sie ihn mit einem Schwerthieb auf.
Noch nie zuvor hatte sie einen Menschen verletzt, aber ihr blieb keine andere Wahl: Der Mann hätte ihren Großvater erbarmungslos getötet. Bevor er zusammenbrach, warf er seinem Komplizen einen verständnislosen Blick zu. Niss stieß ihn angewidert zur Seite und beugte sich ängstlich über Bowbaq. Als sie sah, dass er auf einem Haufen Unrat gelandet war, den der Regen und die Last der Jahre zu einer übel riechenden, fußhohen Schicht zusammengedrückt hatten, schöpfte sie wieder Hoffnung. Hatte der weiche Untergrund Bowbaqs Sturz abgefedert? War er einigermaßen glücklich gelandet und nicht mit dem Kopf
Weitere Kostenlose Bücher