Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
Nolan recht: Es musste eine Verbindung zwischen Usul und den Schlangen geben. Womöglich hatten sie sich zurückgezogen, als der Gott das Gespräch mit Cael beendet hatte oder als sein Cousin zu ertrinken drohte. Vielleicht war ihre Aufgabe als Wächter ganz einfach beendet gewesen, auch wenn die Erben die Regeln nicht durchschauten.
Mehr als zwei Dekanten waren vergangen, seit die Gefährten von der Insel fortgesegelt und drei Meilen weiter östlich vor Anker gegangen waren. Seitdem hatten Caels Lider kein einziges Mal geflattert.
Seine Freunde wiederum konnten vor Erschöpfung kaum noch die Augen offen halten. Abermals hatte sich Eryne bereit erklärt, bei Cael zu wachen, und die anderen zu Bett geschickt. Sie versprach, sie notfalls zu wecken, aber Amanon wollte seinen Cousin nicht allein lassen. So saßen die beiden nun an Caels Bett und hielten Händchen. Trotz dieses kostbaren, wenn auch viel zu flüchtigen Augenblicks der Zweisamkeit machte sich Amanon nichts vor: Eryne hatte seine Hand sicher nur genommen, um ihn zu trösten, nicht etwa aus Liebe. Seit fast einer Dekade achtete sie gewissenhaft darauf, keinen ihrer beiden Verehrer zu begünstigen oder zu ermutigen, und Amanon hätte sie niemals zu irgendetwas gedrängt.
Auf unwirkliche Art und Weise schien selbst die Zeit während dieser stummen Nachtwache stillzustehen. Manchmal nickte Amanon auf seinem Hocker ein, und immer wenn er aufwachte, saß Eryne bei seinem Cousin und streichelte ihm die Stirn. Er fragte sich, woher sie nur die Kraft nahm, bis ihm der Verdacht kam, dass sie als künftige Göttin vielleicht nicht so schnell ermüdete wie eine gewöhnliche Sterbliche. Vielleicht zeigte sich aber auch erst am Krankenbett ihrer Gefährten, wie selbstlos und aufopfernd Eryne war.
Als Amanon wieder einmal aus einem Nickerchen hochschreckte, lag Cael mit offenen Augen da. Eryne wiederum hatte die Lider geschlossen und dem Jungen eine Hand auf die Brust gelegt. Vorsichtig stand Amanon auf und beugte sich über seinen Cousin. Caels Augen folgten seinen Bewegungen, allerdings mit kurzer Verzögerung, wie bei einem Neugeborenen. Es war noch zu früh, um daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen, aber Amanon klammerte sich an die Hoffnung, dass der Junge das Schlimmste überstanden hatte.
Im zehnten Dekant, kurz vor Sonnenaufgang, besserte sich Caels Zustand merklich. Obwohl er zwischendurch immer wieder wegdämmerte, gelang es ihm nach und nach, auf Eryne und Amanon zu reagieren, die Finger zu bewegen oder den Kopf zur Seite zu drehen, und auch sein Blick irrte nicht mehr ganz so ziellos umher. Irgendwann begriff Amanon, dass Cael nicht einfach nur steif vor Kälte war, sondern ihm jegliche Lebenskraft geraubt worden war. Allmählich schien ihm jedoch wieder wärmer zu werden, und seine Lebensgeister kehrten zurück.
Nach einer Weile versuchte der Junge zu sprechen. Eryne und Amanon rieten ihm, sich noch zu schonen, aber er ließ nicht locker. Mühsam zog er Grimassen, die nichts Komisches hatten, bewegte stumm die Lippen und verlor zwischendurch immer wieder das Bewusstsein. Die verkrampfte Haltung, in der er dalag, sah sehr schmerzhaft aus. Sobald er aufwachte, versuchte er wieder zu sprechen, brachte aber nicht mehr als ein jämmerliches Krächzen hervor.
Als der Morgen graute, beschloss Amanon, die anderen zu wecken und ihnen die frohe Nachricht zu überbringen. Außerdem mussten sie das Schöne Land so schnell wie möglich verlassen, um nicht doch noch den Guori oder ihren Söldnern in die Hände zu fallen. Kurz darauf scharten sich Keb, Bowbaq, Niss, Nolan und Zejabel um die Koje, um Cael zu begrüßen. Sein hilfloses Gestammel machte ihnen Angst. Er schien ihnen unbedingt etwas mitteilen zu wollen. Oder versuchte er sie nur darauf aufmerksam zu machen, dass er unerträgliche Schmerzen litt?
Als ihm abermals die Stimme versagte, schüttelte Cael zornig den Kopf. Er blieb reglos liegen und schloss für eine ganze Weile die Augen. Anscheinend wollte er Kräfte sammeln, um endlich aussprechen zu können, was er ihnen zu sagen hatte. Seinen Freunden blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.
So holte Amanon mit Bowbaqs Hilfe erst einmal den Anker ein und steuerte die Feluke auf die aufgehende Sonne zu. Sie hatten noch nicht beschlossen, welches Ziel sie als Nächstes ansteuern würden, aber da sie weder nach Romin reisen würden, in dessen Provinzen Krieg herrschte, noch ins ferne Sultanat Jezeba, konnte es nicht schaden, Kurs auf das Mittenmeer zu
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