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Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen

Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen

Titel: Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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wie eine Vogelscheuche nach einem Unwetter am Ende des Seils baumelte. War er tot?
    Nolan untersuchte ihn und versicherte den anderen, dass er lebte. Caels Gesichtszüge waren jedoch zu einer Maske des Grauens erstarrt. Was mochte Usul ihm offenbart haben?



Jedes Jahr zum Quint der Dekade des Predigers lud Agenor von Lorelia die Mitglieder des Hofs zu einem festlichen Empfang in ihren Winterpalast ein. Diese Tradition hatte sie kurz nach dem Tod ihres Gatten begründet.
    Die meisten Gäste glaubten, sie wolle auf diese Weise lediglich ihre Reichtümer zur Schau stellen, tatsächlich aber nutzte die Erzherzogin die Gelegenheit, um die Anwesenden auszuspionieren. Zahlreiche Spitzel der Grauen Legion pflegten sich unter die Besucher zu mischen, um ihre Gespräche zu belauschen und diejenigen im Auge zu behalten, die die Hausherrin zu erpressen gedachte. Letztlich ging es Agenor nur darum, ihre Macht zu mehren.
    Schon viele Edelleute waren nach dem Fest Opfer einer ihrer Intrigen geworden. Trotzdem hätte die feine lorelische Gesellschaft den Empfang um nichts in der Welt verpasst. Das galt vor allem für junge Männer im heiratsfähigen Alter, denn sie konnten sicher sein, dort der Prinzessin von Semilia, der Gräfin von Kurdalene oder der betörenden Eryne von Kercyan zu begegnen.
    Natürlich drehten sich in diesem Jahr alle Gespräche um das rätselhafte Verschwinden Herzog Reyans, der anscheinend beim König in Ungnade gefallen war. Die Gerüchte verbreiteten sich wie ein Lauffeuer: Wahlweise war von einem schweren Schicksalsschlag, feiger Flucht, einer neuen Existenz unter falschem Namen oder Hochverrat die Rede. Die lorelischen Edelleute empfanden Schadenfreude, denn man war wenig angetan von Reyans beißendem Spott und seinen eifrigen Bemühungen, ihre Gesellschaft zu meiden. Ganz zu schweigen davon, dass er vor geraumer Zeit vom König für eine Heldentat ausgezeichnet worden war, an deren Wahrheitsgehalt viele zweifelten. Nach mehr als zwanzig Jahren verdächtigten sie Reyan und seine Frau immer noch, eine heimtückische Intrige gesponnen zu haben, um den Herzogtitel wieder an sich zu reißen. Noch zahlreicher waren jene, die hofften, der König würde nun, da Reyan verschwunden war, dessen Besitztümer und Ländereien unter seinen Günstlingen aufteilen.
    Auch Erynes Verehrer rieben sich die Hände. Die junge Dame war mit ihrem Bruder bei Roban von Sarcy zu Besuch gewesen, kurz bevor dieser von Schurken ermordet wurde. Früher oder später würde sie wieder auftauchen müssen, und dann wäre sie, ihrer Reichtümer und Ehre beraubt, vielleicht geneigter, der Vermählung mit einem von ihnen zuzustimmen. So war das Buhlen um sie in vollem Gange.
    Das ständige Gerede über die Familie Kercyan ärgerte Agenor, denn es führte ihr vor Augen, dass sie bisher weder die Eltern noch die Kinder hatte aufspüren können. Dabei war das einer der wesentlichen Bestandteile des Plans, den sie zusammen mit Sombre ausgeheckt hatte. Zum Glück waren nicht all ihre Vorhaben gescheitert – im Gegenteil, bisher waren ihre Winkelzüge stets erfolgreich gewesen, und heute Abend würde es nicht anders sein.
    Der Empfang erreichte seinen Höhepunkt: So mancher Heißsporn hatte bereits mehrere Becher geleert, und die älteren Gäste waren noch nicht aufgebrochen. An die vierhundert Besucher flanierten zwischen dem großen Festsaal, dem Musikzimmer und einigen vermeintlich diskreteren Gemächern hin und her. Doch wer hier im Verborgenen Zärtlichkeiten und Küsse austauschte, würde schon bald von der Grauen Legion in die Zange genommen werden. Verheiratete Paare wurden natürlich in Ruhe gelassen, aber Eheleute suchte man in den Gemächern ohnehin vergeblich.
    Der König würde sich wohl nicht mehr blicken lassen. Bondrian war in letzter Zeit ständig erschöpft und klagte über stechende Schmerzen in der Brust, weshalb er häufig tagelang das Bett hüten musste. Agenor war davon ausgegangen, dass er auf einen kurzen Besuch vorbeikommen würde, doch anscheinend hatte er nicht genug Kraft für die Kutschfahrt vom Königspalast zur Allee von Lermian aufgebracht. An ihren Plänen änderte das nichts. Sie gab einem ihrer Männer das vereinbarte Zeichen und ließ sich dann wieder in ihren Sessel sinken.
    Der Sessel stand auf einem Marmorpodest und erinnerte an einen Thron. Von hier aus hatte Agenor einen guten Überblick über den Festsaal, in dem die Mehrzahl der Gäste tanzte, miteinander plauderte oder umherspazierte. Zugleich konnte

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