Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
geschehen würde, und doch blitzten vor ihrem geistigen Auge sofort Bilder von Keb auf, wie er seiner Mutter Treue schwor, von Zejabel, wie sie das Knie vor Zuia beugte, und sogar von Nolan, wie er sich wieder den K’luriern anschloss. Beschämt verscheuchte sie diese Gedanken, aber wenn ein solcher Verdacht erst einmal ausgesprochen war, setzte er sich unweigerlich fest. Sie musste sich nur ansehen, wie unstet die Blicke ihrer Gefährten plötzlich waren.
»Usuls Vorhersagen müssen sich nicht zwangsläufig erfüllen«, sagte Amanon nachdenklich. »Schon allein die Tatsache, dass wir einen Verräter in unseren Reihen vermuten, kann verhindern, dass einer von uns die anderen hintergeht.«
»Oder es kann ihn erst auf die Idee bringen«, rief ihm Nolan in Erinnerung.
»Wahrscheinlich ist es Mano«, sagte Keb mit einem gequälten Grinsen. »Deshalb wollte Usul auch nicht mit ihm reden.«
Obwohl das ein Scherz sein sollte, fand Eryne seine Bemerkung bösartig. Aber warum schwieg Amanon? Hatte er tatsächlich die ganze Wahrheit über seine Begegnung mit Usul gesagt oder verheimlichte er ihnen etwas? Kaum hatte sie diesen Gedanken gefasst, bereute sie ihn heftig. Wie konnte sie ihrem Geliebten, der ihr mehrmals das Leben gerettet hatte, ihrem eigenen Bruder oder irgendeinem anderen Menschen an Bord misstrauen? Usul hatte vermutlich nur Zwietracht unter ihnen säen wollen. Der Gott musste sich prächtig amüsieren, während er verfolgte, wie seine Prophezeiungen die Erben verwirrten.
Beklommen schwiegen die Erben. Niemand wagte es, als Erster das Wort zu ergreifen. Was konnten sie auch tun, außer sich gegenseitig ihre Loyalität zu versichern? Sie hatten gemeinsam so viele Gefahren durchstanden, dass sie einander eigentlich blind vertrauten. Andererseits hatte sich Usul den Verrat nicht ausgedacht. Was er vorhersagte, würde sich erfüllen, wenn die Zukunft nicht auf die eine oder andere Art verändert wurde.
»Solange wir zusammenbleiben, wird keiner die anderen verraten«, meinte Nolan schließlich. »Wir müssen einfach so weitermachen wie bisher. Und wir dürfen uns auf keinen Fall trennen.«
»Aber das geht nicht«, erwiderte Amanon. »Wir können zum Beispiel nicht alle zusammen in Zui’as Palast hineinspazieren. Das wäre Irrsinn.«
»Bisher ist es uns doch ganz gut bekommen, wie Pech und Schwefel zusammenzuhalten«, bemerkte Keb trocken.
»Das kann ich nicht zulassen«, beharrte Amanon. »Ich habe vor, allein dorthin zu gehen, vielleicht zusammen mit dir und Nolan, falls ihr mich begleiten wollt, und natürlich mit Zejabel«, sagte er und sah die Zü an. »Ohne deine Ortskenntnis haben wir keine Chance. Solltest du nicht einverstanden sein, können wir die Idee gleich begraben.«
Das war natürlich als Frage gemeint, und alle warteten gespannt auf Zejabels Antwort. Seit Beginn ihres Gesprächs wirkte die einstige Kahati nachdenklich, und als sie den Kopf hob, sah Eryne ihr an, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte.
»Da es keine andere Lösung gibt, führe ich euch ins Lus’an«, verkündete sie ernst. »Aber ich glaube, es wäre ein Fehler, uns zu trennen. Falls Zuia uns entdeckt, kann nur der Erzfeind ihr die Stirn bieten und so vielleicht unser aller Leben retten. Da wir immer noch nicht wissen, wer von uns der Erzfeind ist, dürfen wir niemanden zurücklassen.«
Eryne überlief es eiskalt, als Zejabel ihr einen eindringlichen Blick zuwarf. Sombre stand zwar in dem Ruf, ein grausamer Dämon zu sein, aber bisher kannte sie ihn nur aus Erzählungen, während sie Zuia der Strafenden persönlich begegnet war. Die Vorstellung, sie wiederzusehen oder vielleicht sogar gegen sie kämpfen zu müssen, würde ihr in den nächsten Nächten den Schlaf rauben.
Amanon sagte erst einmal nichts zu Zejabels Vorschlag, und auch Bowbaq, dem das Abenteuer von allen am meisten Unbehagen bereitete, biss die Zähne zusammen. Da die anderen ihr Schweigen als Zustimmung deuteten, steuerten sie die
Othenor II
weiter auf das Mittenmeer zu. Diese Etappe ihrer Reise war die gefährlichste, die sie bislang unternommen hatten, das wurde Nolan jedes Mal, wenn er Zejabels besorgtem Blick begegnete, schmerzlich bewusst. Die Zü hatte bislang in jeder Lage große Tapferkeit bewiesen, und nun spürte er zum ersten Mal, dass sie Angst hatte.
Am ersten Tag ihrer Reise nach Zuia versuchte er immer wieder, ihr Mut zu machen. Die meiste Zeit jedoch las er entweder im Buch der Weisen oder in Corenns Testament. Allmählich kannte er
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