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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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haben.« Alberich stand auf und ging in die Mitte des Raums. Wie ein Priester, der seinen Gott um Hilfe anflehte, breitete er die Arme aus und sah nach oben. Erst in diesem Moment bemerkte Angela, dass das Muster sich auch über die Decke zog. Ihr wurde schwindlig, wenn sie es nur ansah.
    Alberichs Lippen bewegten sich lautlos. Mit einem Fuß trat er auf, als wolle er etwas unter seiner Sohle zerstampfen. Licht brach aus dem Mosaik hervor, raste in Bahnen über Boden und Decke. Angela wich unwillkürlich zurück, aber das Licht war kalt, obwohl es brannte wie Feuer. Es schoss über die Linien, erhellte sie, suchte sich seinen Weg, und auf einmal erkannte Angela, um was es sich bei dem Mosaik handelte.
    Eine Landkarte, dachte sie. Ganz Innistìr ist in diesem Raum abgebildet.
    Ihr analytischer, logischer Verstand verwandelte die brennenden Linien in ein Netzwerk aus Wegen und Straßen. Alberich erschuf die Route, die sie zu ihrem Ziel nehmen mussten. Vollkommen konzentriert stand er inmitten des Mosaiks, die Arme weiterhin gehoben, die Augen geschlossen. Sie spürte die Macht, die von ihm ausging. Wie Elektrizität strich sie über ihre Haut, prickelnd und warm. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas gefühlt. Es war gleichzeitig Furcht einflößend und überwältigend.
    Alberich ließ die Arme sinken und öffnete die Augen. »Komm!«, sagte er.
    Wohin?, wollte Angela fragen, doch dann sah sie plötzlich den Spalt, der neben ihm in der Mauer entstand. Es kam ihr vor, als habe jemand mit einem Messer einen Vorhang durchschnitten und den Weg nach draußen geöffnet. Eine Landschaft lag hinter diesem Riss, weit und frei. Sie wollte nichts mehr im Leben, als sie mit Alberich zu erkunden.
    Angela streckte eine Hand aus, Alberich ergriff sie. Gemeinsam traten sie durch den Riss.

4
     
    Der Beobachter
     
    D ie Sonne war gerade erst aufgegangen, aber die meisten Bewohner des kleinen Lagers waren bereits auf den Beinen. Es gab immer viel zu tun. Das Frühstück musste vorbereitet werden, damit diejenigen, die auf den Feldern und bei den Handwerkern arbeiteten, nicht zu spät kamen, Wäsche musste gewaschen und aufgehängt werden, und die Überlebenden versuchten, sich selbst so gut wie möglich sauber zu halten.
    Ohne Öfen, Waschmaschinen, Warmwasserbehälter und Trockner ging alles viel langsamer, als es die Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts kannten. Anfangs hatten viele die Rückkehr in vorelektrische Zeiten mit einer gewissen Romantik betrachtet, doch das war längst vorbei.
    Es war lästig, Wäsche mit der Hand zu waschen und zu hoffen, dass es so lange nicht regnen würde, bis sie getrocknet war; und es war unangenehm, sich die Zähne mit Bürsten aus Schweineborsten und Zahnpasta aus Salz und einem Kraut, das so ähnlich wie Petersilie schmeckte, zu putzen. Aber es war besser als nichts.
    Cedric stellte seinen Stuhl vor die Hütte und sah dem morgendlichen Treiben zu. Luca nickte ihm zu, als er sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum in den Felshöhlen machte. Die meisten Überlebenden blieben am liebsten unter sich und aßen getrennt von den Iolair und den Flüchtlingen. Luca gehörte zu den wenigen, die den Kontakt zu den Fremden suchten. Er hatte sogar Freunde gefunden; das war außer ihm keinem gelungen. Sogar Jack verband keine Freundschaft mit den Iolair, höchstens gegenseitiger Respekt.
    Wenn er Glück hat, dachte Cedric. Er gähnte und betrachtete die Gesichter der Menschen, die an ihm vorbeigingen. Mittlerweile kannte er die Namen aller Überlebenden. Er hatte sich dazu gezwungen, sie zu lernen, nachdem ihm klar geworden war, dass er manche über Wochen hinweg mit »Hey du!« angesprochen hatte. Er hatte sich ihnen gegenüber ebenso respektlos verhalten, wie die Iolair es gegenüber Jack taten.
    »Guten Morgen, Gina«, sagte Cedric, als die kleine Italienerin aus ihrer Hütte trat. Sie blinzelte, als sei sie von seiner Stimme geweckt worden, dann lächelte sie freundlich und kam auf ihn zu.
    Das hat sie noch nie getan. Gina war schüchtern; Cedric glaubte, dass sie Angst vor ihm hatte. Jedenfalls ging sie ihm meistens aus dem Weg.
    »Du hast recht«, sagte sie, als sie vor seinem Stuhl stehen blieb. »Das ist wirklich ein guter Morgen.«
    Sie strahlte Cedric an. Ihr Blick wirkte beinahe fiebrig.
    »Gibt es etwas, das ihn besser macht als den gestrigen Morgen?«, fragte er.
    »Jeder Morgen ist besser als der letzte.« Gina ging neben ihm in die Hocke. Sie trug ein weit fallendes, erdfarbenes

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