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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Ungeheuer, das sie jederzeit herbeirufen konnte. Hatte sie es gewollt? Sie wünschte, sie hätte eine Antwort darauf gewusst, aber sie stand ebenso ratlos und innerlich zerrissen davor wie vor den beiden Kleiderstapeln auf der Truhe. Sie wollte das Ungeheuer, und sie verabscheute es.
    So wie Alberich.
    Ihr verging der Appetit, als sie an ihn dachte. Nach einem letzten Schluck Wasser stand sie auf, zog sich die Lederstiefel an und ging zur Tür. Sie würde sich Alberich stellen. Davor allerdings wartete eine andere Frage auf sie.
    Der Eingang zum Turm stand auch dieses Mal offen. Sie trat hinaus in die Morgensonne und atmete die kühle, klare Luft tief ein. Dann hob sie den Kopf und sah zu den Schatten hinauf, die um den Turm tanzten. »Ich möchte mit Marcus Julius Secundus reden«, rief sie.
    Die Schatten verharrten einen Moment, als würden sie nachdenken, bevor sie weitertanzten.
    »Marcus Julius Secundus!«, rief Angela. »Rede mit mir!«
    Eine Weile lang geschah nichts. Schließlich setzte sich Angela mit übereinandergeschlagenen Beinen vor den Turm und lehnte sich an dessen Mauer. »Ich habe viel Zeit.«
    Sie glaubte bereits, die Schatten würden sie ignorieren, als sich einer aus der Gruppe löste und zu ihr herab schwebte. Am Boden verwandelte er sich in den Mann, der sie vor dem Kristall gerettet hatte.
    »Was willst du?«, fragte der tote Römer. Es klang unfreundlich.
    Angela stand auf. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie groß der Soldat war. Er überragte sie um fast einen Kopf.
    »Ich will wissen«, sagte sie, »wieso du mir gestern nicht geholfen hast, als ich nach dir rief. Ist es nicht deine Pflicht, mich zu beschützen?«
    Er musterte sie aus dunklen Augen. »Nein.«
    »Erkläre mir das.«
    »Es ist unsere Pflicht, den König des Reiches Innistìr zu beschützen und alle, deren Schutz er uns auferlegt.« Marcus Julius Secundus hakte die Daumen in seinen Gürtel, wie er es schon bei ihrer ersten Begegnung getan hatte. »Gestern sagte er mir, dass du nicht mehr darin inbegriffen bist.«
    Ihr wurde mulmig. »Hat er diesen Befehl mittlerweile aufgehoben?«
    »Ja.«
    Die Antwort erleichterte sie. Secundus schien zu glauben, dass die Unterhaltung damit beendet sei, denn er wandte sich bereits ab, aber sie streckte die Hand aus und hielt seinen Arm fest. Sie war überrascht, dass er nicht kühler war als der ihre. Irgendwie hatte sie geglaubt, ein Geist müsse sich kalt anfühlen.
    Er drehte sich zurück zu ihr. Sein gebräuntes Gesicht lag im Schatten des Turms. Es fiel ihr schwer, darin zu lesen.
    »Hat Alberich dir befohlen, einen Mann zu schicken, der mich angreift?«
    »Ja.« Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr: »Er befahl mir, meinen schlechtesten Krieger mit dieser Aufgabe zu betrauen. Das traf auf Rorun zu.«
    Sie hatte den Eindruck, dass er das sagte, um sie zu beleidigen, aber Angela konnte nur daran denken, dass sie nun den Namen des Mannes kannte, den sie getötet hatte. Das machte es nicht besser.
    »Es tut mir leid«, sagte sie und hoffte, dass es ehrlich klang. »Ich habe nichts davon gewusst.«
    »Das ist mir klar.« Er zögerte erneut. Sie konnte sehen, dass ihm etwas auf der Seele lag.
    »Sprich es ruhig aus, Marcus. Was immer du sagst, bleibt unter uns wie die Geschichte mit dem Kristall.«
    Er nickte. »Was Alberich getan hat, ist eines Königs nicht würdig. Ich habe dem anderen Herrscher dieses Reiches gedient. Er hätte keinen Mann zum Tode verdammt, nur um jemandem eine Lektion zu erteilen.«
    »Er hat es für mich getan.«
    Secundus’ Blick verriet, dass er sie für naiv hielt. »Männer wie er tun nie etwas für andere.«
    »Das stimmt nicht.« Angela spürte die Magie in sich brodeln und zwang sich zur Ruhe. Sie hatte Secundus gebeten, offen zu sein. Ihr passten seine Worte zwar nicht, aber sie hatte ihm die Erlaubnis gegeben, sie auszusprechen.
    »Alberich weiß, dass schwierige und gefährliche Zeiten kommen werden«, erklärte sie. »Du hast selbst gesehen, wie schwer mir der Umgang mit Magie noch fällt. Es ist richtig, dass er mich zwingt zu lernen, selbst wenn seine Wahl der Mittel vielleicht ... ungewöhnlich ist. Aber er tut das alles, damit ich in dem kommenden Kampf eine Chance habe.«
    Secundus schwieg. Irgendwo hoch über ihnen schrie ein Greifvogel.
    »Du kannst mir glauben«, sagte sie. »Ich kenne ihn besser als du.«
    Als er immer noch nicht antwortete, wechselte sie das Thema. Es war wohl besser, nicht mehr über Alberich zu sprechen. »Eine Frage würde

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