Die Kristallhexe
küssen. Sie war für ihn zu einem Sinnbild für all das geworden, was ihn an Rimmzahns Anhängern verstörte. Wenn er ihren leeren Blick sah und das einfältige Lächeln, lief ihm ein Schauer über den Rücken.
»Warte nicht zu lange«, sagte Rimmzahn. Eine unangenehme Kälte kroch in seine Stimme. »Es wird hier bald Veränderungen geben, und glaub mir, wenn es so weit ist, willst du auf der richtigen Seite stehen.«
Bevor Maurice fragen konnte, was er damit meinte, klopfte es an der Tür. »Ich bin es, Sandra.«
Die Veränderung, die in Rimmzahn vorging, war erschreckend. Erfreut sprang er auf und ging zur Tür. »Sandra«, sagte er, als er das Mädchen einließ. »Ich dachte schon, du seist schlafen gegangen.«
»Ohne die Predigt mit dir vorzubereiten? Niemals.« Sandra lächelte einfältig. »Einen wunderschönen guten Morgen.«
»Jeder Morgen ist schöner als der letzte«, sagte Rimmzahn. Die Sätze waren zu einer Begrüßungsfloskel unter den Gläubigen geworden, ein Code, mit dem sie einander erkannten.
Sandra lächelte Maurice ebenfalls kurz zu, aber er sah keine Wärme darin.
Als sie sich neben ihn setzen wollte, stand er hastig auf. »Ich habe noch zu tun«, sagte er. »Wir sehen uns später, Norbert.«
Rimmzahn beachtete ihn nicht, schob stattdessen achtlos die nach wie vor vollen Teetassen zur Seite und setzte sich. »Ich habe über unsere Strukturen nachgedacht«, sagte er. »Ich glaube, wir sollten darüber nachdenken, verschiedene Sektionen zu gründen, in die wir die Gläubigen je nach Fähigkeiten einteilen.«
»Was für eine großartige Idee«, sagte Sandra begeistert. »Wie wäre es mit einer Friedenstruppe, die unsere Ideen umsetzt, damit die im Hass Verhafteten sehen, dass sich unser Glaube auch praktisch leben lässt?«
»Ja, das ist ein sehr guter Ansatz.«
Maurice verließ die Hütte. Weder Rimmzahn noch Sandra sahen auf, als er die Tür hinter sich zuzog.
Es war ihm peinlich, aber als er dort draußen stand, übermüdet und frustriert, stiegen ihm Tränen in die Augen. Er versuchte, sie wegzuwischen, aber sie wallten sofort wieder auf.
»Maurice?«
Er zuckte zusammen und fuhr herum. Deochar, einer der Anführer der Iolair und der einzige Mensch unter ihnen, stand vor ihm.
»Hast du Jack gesehen?«, fragte er.
Maurice schüttelte den Kopf. »Nicht seit dem Feuer.« Seine Stimme klang belegt.
»Danke.« Deochar zögerte einen Moment, dann fragte er: »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, es gibt kein Problem.» Maurice wandte sich ab. »Ich vermisse nur einen guten Freund.«
12
Eine Frage
der Loyalität
E s war Morgen, als Angela erwachte. Sie lag allein in dem breiten Bett und lauschte dem Gesang der Vögel, während sie versuchte, an nichts zu denken. Sie hatte nicht geträumt, zumindest konnte sie sich an keinen Traum erinnern. Am liebsten wäre sie in diese warme Dunkelheit zurückgekehrt, aber der Hunger trieb sie schließlich aus dem Bett.
Sie war nackt, ihre Kleidung lag sorgfältig gefaltet auf einer der Truhen. Alberich musste sie dorthin gelegt haben und wie so oft wohl nicht ohne Hintergedanken, denn es gab zwei Stapel: Auf einem lagen Lederjacke und Lederhose, auf dem anderen die einfachen, langweiligen Sachen, die sie sich zuerst vom Turm hatte geben lassen.
Angela blieb vor der Truhe stehen. Er lässt mir die Wahl, dachte sie. Ich soll entscheiden, ob ich nach allem, was gestern geschehen ist, in mein altes Leben zurückkehren will oder das neue annehme.
Eine Weile dachte sie darüber nach, dann zog sie die Lederhose an und das einfache helle Hemd. Bis zum Hals knöpfte sie es zu. Barfuß ging sie ins Wohnzimmer und ließ sich vom Turm etwas Obst, Brot und eine Karaffe mit Wasser geben. Ich würde für einen schwarzen Tee tö...
Sie schüttelte den Gedanken ab. Er erinnerte sie an Dinge, denen sie sich noch nicht stellen wollte. Während sie aß, sah sie aus dem Fenster. Den Eiselch konnte man aus diesem Winkel nicht sehen, dazu hätte sie in Alberichs Schlafzimmer gehen müssen - worüber sie froh war. Sie brauchte Zeit, um zu verarbeiten, was sie erlebt und getan hatte - und vor allem, was er getan hatte.
Sollte ich ihn dafür hassen? Das war die Frage, die sie am meisten beschäftigte. Sie hatte ihn zwar gebeten, die Tür aufzustoßen, doch auf die Dunkelheit, die dahinter lag, war sie nicht vorbereitet gewesen. Nach wie vor spürte sie die Magie in sich. Sie brodelte nicht mehr, kitzelte nur ein wenig, aber sie war da und lag auf der Lauer wie ein
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