Die Kristallhexe
ich dir gern stellen.«
»Eine weitere?« Er klang genervt.
»Die letzte. Warum konnte ich den Krieger ... Rorun ... verletzen? Als Geister seid ihr doch schon lange tot, oder?«
Marcus Julius Secundus nahm seinen Lederhelm ab. Die Haare darunter waren keinen Zentimeter lang und grauschwarz. Schweiß bedeckte seine Stirn. »Siehst du das?«
Angela benötigte ein paar Sekunden, bis sie erkannte, dass er von dem Schweiß sprach. Sie nickte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass die anderen Schatten näher kamen, als wollten auch sie wissen, was er dazu sagte.
»Ein Geist schwitzt nicht, blutet nicht. Ein Geist muss nichts essen, noch dürstet ihn nach Wein.«
Angela hörte ein Lachen. Sie drehte sich um, konnte aber nicht erkennen, ob einer der Schatten gelacht hatte oder ob sich außer Secundus weitere Soldaten verwandelt hatten.
»Ein verfluchter Geist hingegen ...« Er setzte seinen Helm wieder auf. »... tut all das.«
»Man hat euch verflucht, weil ihr desertiert seid?«
Der Soldat neigte den Kopf. »So ist es.«
»Das ist nicht ganz richtig.«
Angela drehte sich überrascht um, als jemand aus dem Turm trat. Es war ein älterer, kleiner Mann, der eine verbeulte Brustplatte trug und einen Helm in der Hand hielt, der mit einer irokesenartigen Bürste verziert war. Seine Sandalen waren geschnürt, die Arm- und Beinplatten angerostet. Wind zerzauste sein dünnes weißes Haar.
Secundus zog die Mundwinkel so leicht nach unten, dass es Angela beinahe nicht aufgefallen wäre. Anscheinend schätzte er die Einmischung des älteren Mannes nicht.
»Mein Name ist Kritodemos, General Kritodemos.«
Angela hob die Augenbrauen. »Ein General, der desertiert ist?«
Kritodemos schüttelte den Kopf. »Das habe ich sicherlich nicht getan, auch wenn Marcus Julius Secundus mir widersprechen wird.«
»Wer sich umdreht und wegläuft, ist ein Deserteur.« Secundus verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist mir egal, warum er das tut.«
Angela hatte den Eindruck, dass sie diesen Streit schon oft ausgefochten hatten, deshalb waren die anderen Schatten wohl so interessiert an dem Gespräch. Sie hofften darauf, dass einer von beiden endlich den Sieg davontragen würde.
»Im Gegensatz zu dir«, sagte Kritodemos, während er an Angela vorbeiging und sich die Morgensonne ins Gesicht scheinen ließ, »rede ich mit den anderen und belle nicht nur Befehle.«
Secundus reagierte nicht auf die Anschuldigung. Sein Gesicht war so reglos, als hätte man es aus Holz geschnitzt.
»Du siehst in jedem einen Deserteur, sogar in dir selbst, aber die Wahrheit ist eine andere.« Kritodemos schloss einen Moment die Augen und genoss die Wärme. Als er sie wieder öffnete, richtete er den Blick auf Angela. »Weißt du, weshalb diesem Mann die Kehle durchgeschnitten wurde?«
Sie schüttelte den Kopf.
Secundus trat zwischen sie und den Griechen. »Darum geht es hier nicht. Sie hat eine einfache Frage gestellt, auf die es eine einfache ...«
»Lass ihn ausreden«, unterbrach ihn Angela. »Ich habe dir das Recht zugestanden, offen zu sprechen, und nun will ich hören, was er zu sagen hat.«
Vor allem deshalb, weil es mich von meinen eigenen Gedanken ablenkt, fügte sie innerlich hinzu.
Secundus schwieg. Kritodemos verneigte sich dankend. Er wirkte wie ein gebildeter Mann, aber auch wie einer, der sich dessen bewusst war und seine Wortgewandtheit zur Schau stellte. »Secundus war mit seiner Legion am Hadrianwall in Britannien stationiert. Nach jedem Übergriff der Barbaren schickte der Kommandant Einheiten aus, die in den Dörfern jenseits des Walls Angst und Schrecken verbreiten sollten. Die Römer waren der Ansicht, dass die einfachen Bauern, die dort lebten, früher oder später den Kriegern aus Angst die Unterstützung verweigern würden. Secundus gehörte einer dieser Einheiten an.«
»Wir taten, was nötig war«, sagte der Römer.
»Aber das dachtest du nicht an dem Tag, an dem du starbst, oder?«, fragte Kritodemos. Er wartete die Antwort nicht ab, sondern fuhr fort: »Secundus war Centurio. Er und seine Kameraden wurden in ein Dorf eine Stunde nördlich des Walls geschickt. Sie sollten alle Männer erschlagen, die Hütten niederbrennen und die Ernte vernichten. Als sie den Befehl erhielten, rückten sie in das Dorf ein und trieben die Bewohner zusammen. Es gab Widerstand ...«
»Nein«, sagte Secundus. Sein Blick richtete sich auf einen Punkt am Horizont. Angela drehte sich unwillkürlich um, aber da war nur blauer Himmel. Was
Weitere Kostenlose Bücher