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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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See entdeckten und den hohen Turm, der wie ein gewaltiger, steinerner Grabstein inmitten des Lebens stand. Die faulige Düsternis, die von ihm ausging, schien die Sonnenstrahlen zu schlucken, sodass er in seinem eigenen Schatten lag. Nebel hüllte seine Spitze ein, die Fenster wirkten wie tiefe, in den Stein geschlagene Wunden. Hanin wurde kalt.
    »Was sind das für Schatten?«, wollte Inran wissen. Er war vorsichtiger als sein Bruder Yassaf und versuchte stets, sich mit Fragen abzusichern, bevor er eine Entscheidung traf.
    »Ich weiß es nicht.« Hanin sah Messan und Neranye fragend an, aber beide schüttelten den Kopf. Unter ihren Gesichtsschleiern waren nur die Augen zu erkennen, trotzdem bemerkte Hanin, wie unwohl sie sich fühlten. Der Anblick des Turms beunruhigte alle.
    »Ich schlage vor ...« Neranyes Stimme versagte kurz. Er räusperte sich und fuhr fort: »... die Nacht abzuwarten, bevor wir weitergehen. Das Gelände ist offen, die einzige Deckung sind das Schilf am Seeufer und der Wald hinter dem Turm. Wer immer dort oben Wache schiebt, würde uns entdecken, lange bevor wir eines von beiden erreichen.«
    Hanin war froh, dass er ihr eine Entschuldigung gab, den Blick vom Turm zu nehmen. Neranye hatte recht; das Gras stand nicht hoch genug, um sich darin zu verbergen, und die Sträucher und Bäume waren zu weit voneinander entfernt, um ihnen nützlich zu sein. Vielleicht hätten sie sich in der Herde Flügelechsen verstecken können, die einen Steinwurf entfernt grasten, aber solange die Zeit nicht drängte, wollte sie kein Risiko eingehen.
    »Ein guter Vorschlag«, sagte sie. »Wir warten.«
    Messan seufzte und setzte sich auf einen Felsen. »Also bin ich umsonst so früh aufgestanden.«
    Die anderen ließen sich ebenfalls nieder. Hanin fiel auf, dass alle vermieden, den Turm anzusehen, wie sie selbst. Sie sprachen nicht darüber, was sie bei seinem Anblick empfanden - die meisten Assassinen waren eher wortkarg doch Hanin war sich sicher, dass es ihnen ging wie ihr.
    Sie lehnte sich an einen Felsen, auf den die Sonne schien, und betrachtete die grasenden Flügelelche. Es waren seltsame Wesen, ein wenig größer als normale Elche, aber auch schmaler und leichter. Ihre Flügel öffneten sich wie Fächer, wenn sie sich bedroht fühlten, und an jeder Spitze saß eine handlange Kralle, die tiefe Wunden reißen konnte. Von einem Viehhändler hatte Hanin erfahren, dass Karawanenführer seit Langem versuchten, diese Tiere zu zähmen, doch gelungen war das bisher noch nie.
    Gut für die Elche, dachte sie. Nicht alles sollte sich uns unterordnen.
    Sie griff in ihren Rucksack, zog in Tuch geschlagenes Brot heraus und schnitt etwas davon ab. Messan sah zu ihr herüber. »Ist das von heute Morgen?«
    Sie nickte. Er seufzte erneut, sagte aber nichts weiter. Hanin nahm an, dass er keine Zeit mehr gehabt hatte, frisches Brot aus der Backstube zu holen, und deshalb nun neidisch zu ihr herübersah. Wortlos warf sie ihm das Brot zu.
    Er grinste, nickte dankend und packte seine eigenen Vorräte aus: eine Zwiebel, etwas Bergziegenkäse und süße Äpfel aus den Tälern. Sie selbst hatte nichts anderes dabei. Das Leben in der Festung lehrte Bescheidenheit.
    Sie biss ein Stück Brot ab. Es war saftig und dunkel, trotzdem hörte sie im nächsten Moment auf zu kauen und legte den Rest beiseite. Etwas stimmte nicht.
    Sie sah es deutlich. Die Elche hatten aufgehört zu grasen. Sie hoben die Köpfe und drehten ihre Nüstern in den Wind. Die Vögel, die zuvor hoch oben am Himmel ihre Kreise gedreht hatten, flogen auf den Wald zu, als suchten sie dort nach Schutz. Ihre Rufe klangen warnend.
    Hanin drehte sich zu den anderen Assassinen um. Messan stand bereits auf, Neranye suchte mit zusammengekniffenen Augen die scheinbar friedliche Landschaft ab, sogar die beiden Anwärter wurden aufmerksam. Hanin glaubte nicht, dass sie selbst die Veränderungen bemerkt hatten, dafür fehlte ihnen die Erfahrung, aber sie achteten zumindest auf das, was in ihrer unmittelbaren Nähe geschah.
    »Was ist los?«, fragte Inran leise.
    Hanin schüttelte den Kopf. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Yassaf sein Schwert zog. Wie immer sehnte er sich nach einem Kampf, selbst wenn er nicht wusste, welcher Gegner ihn erwartete. Er war mehr Soldat als Assassine, ein Umstand, den seine Ausbilder oft bemängelten.
    Neranye trat neben sie. »Ich glaube nicht, dass man uns im Turm bemerkt hat. Ich kann dort keine Bewegung erkennen.«
    Sie stimmte ihm mit einem knappen

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