Die Kristallhexe
versuchte, seine Gegner in Panik zu versetzen, sie dazu zu bringen, den schützenden Kreis zu verlassen und davonzugaloppieren.
Doch auch sein zweiter Angriff brachte nicht den gewünschten Erfolg; die Herde blieb zusammen. Wieder stieg der Verschlinger auf, wieder schrie er, doch dieses Mal klang er wütender und frustrierter. Der große Bulle röhrte, als wolle er ihn provozieren, der Vogel reagierte mit einem weiteren Sturzflug.
Und drehte auf halber Höhe ab.
Sein Blick aus kalten, blassgelben Augen richtete sich plötzlich auf Hanin. Der lange spitze Schnabel wirkte wie ein Speer.
»Er greift uns an!«, schrie Neranye. Der Schatten des Vogels hüllte ihn in Dunkelheit. Der Verschlinger breitete die Flügel aus, und der Assassine musste sich zur Seite werfen, um ihnen zu entgehen. Der spitze Schnabel stach zu - daneben. Hanin hörte, wie er über den Fels kratzte.
Sie zog ihr Schwert. Neranye rollte sich ab und kam wieder auf die Beine, nur um sich im nächsten Moment unter einem Flügelschlag zu ducken.
Der Verschlinger flog nicht mehr, er hüpfte. Jeder Flügelschlag verschaffte ihm genügend Auftrieb, um seinen Gegner von oben attackieren zu können. Neranye wurde zurückgetrieben. Er stach mit dem Schwert nach den Klauen des Vogels, traf aber nur Krallen, die so hart waren, dass die Klinge von ihnen abglitt.
Die anderen Assassinen umkreisten den Vogel. Er bemerkte sie und stach ab und zu mit seinem Schnabel nach ihnen, doch seine Aufmerksamkeit galt Neranye. Ihn hatte er von der Gruppe getrennt, er sollte seine Beute werden.
Hanin blieb ein wenig zurück und beobachtete den Kampf. Noch war Neranye schnell und konzentriert genug, um den Attacken auszuweichen, doch früher oder später würden seine Arme lahm und seine Augen müde werden. Allein konnte er den Vogel nicht besiegen.
Mühsam verdrängte Hanin den Gedanken an ihn, achtete nur auf den Verschlinger. Sie prägte sich alles ein, was er tat, jeden Hüpfer, jeden Flügelschlag, jeden Stoß seines Schnabels. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Messan ihn ebenfalls beobachtete. Die beiden Brüder versuchten währenddessen, den Vogel abzulenken und Neranye immer wieder ein paar Sekunden Luft zu verschaffen. Sie hatten sich nicht absprechen können, dafür war alles zu schnell gegangen, trotzdem bildeten sie eine Einheit. Jeder wusste genau, was er zu tun hatte.
Yassaf machte einen Satz nach vorn und stieß mit seinem Schwert nach dem Flügel des Vogels. Seine Klinge traf nur Federn, trotzdem drehte der Verschlinger den Kopf, schrie und stach mit dem Schnabel nach ihm. Yassaf warf sich zur Seite. Im gleichen Moment sprang Inran hoch und versuchte, dem Vogel den Hals aufzuschlitzen. Der aber brachte sich mit einem Hüpfer in Sicherheit.
Vom Kopf bis zu den Klauen maß der Verschlinger fast sieben Fuß; sobald er hochsprang, konnte selbst Messan mit seinen knapp sechs Fuß ihn nicht mehr erreichen. Der kleinere Inran hatte keine Chance.
Und dann sah Hanin es: Bevor der Verschlinger hochsprang, krallte er sich kurz in den Boden, wahrscheinlich, weil sich seine Muskeln anspannten. Das war die Information, auf die die Assassinin gewartet hatte.
»Messan!«, rief sie. Der Vogel drehte den Kopf. Bisher hatte keiner der Menschen ein Wort gesagt. Das Geräusch schien ihn zu verwirren.
Umso besser, dachte Hanin. Laut fuhr sie fort: »Greif ihn von hinten an. Bedränge ihn.«
Messan nickte und schlug auf die Schwanzfedern des Vogels ein. Neranye wich weiter zurück, der Vogel schrie und stieß nach ihm, hielt währenddessen Yassaf und Inran mit Flügelschlägen auf Abstand. Hanin lief geduckt auf den Verschlinger zu, den Blick auf seine Klauen gerichtet. Sie wartete auf den Hüpfer, auf ihre Gelegenheit.
Der Vogel nahm den Kopf zurück, ein klares Zeichen, dass er zustoßen würde. Hanin sah, wie Neranye sich darauf vorbereitete, seinen Körper lockerte, um in die richtige Richtung auszuweichen. Doch der Verschlinger stieß nicht zu. Stattdessen warf er den Kopf zur Seite und schlug mit der Längsseite seines Schnabels zu.
Neranye wurde von dem Angriff überrascht. Der Schlag riss ihn von den Beinen und prellte ihm das Schwert aus der Hand. Der Vogel legte den Kopf in den Nacken, präsentierte ihm einen Moment den schutzlosen Hals, als wolle er ihn verhöhnen, dann warf er sich nach vorn. Neranye verschwand unter dem Körper.
Es krachte. Das Geräusch war hässlich und nass, so als zerschlüge man ein riesiges Ei. Hanin stieß sich vom Boden ab und
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