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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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der Umgebung wurden, nicht beachtenswerter als der Ast eines Baums oder der Schatten eines Schranks. Assassinen verschwanden nicht, wie viele glaubten, sie wurden einfach unwichtig.
    Hanin musste sich dazu zwingen, Messan zu erkennen. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass die beiden Brüder sich ebenfalls konzentrierten. Yassafs Blick wirkte ungläubig. Er, der sonst glaubte, nur die Ausbildung an den Waffen sei keine Zeitverschwendung, sah auf einmal, was ein wahrer Assassine vermochte.
    Messan hatte die Mauer bereits erreicht. Er stieß sich vom Boden ab und krallte sich in mehr als sieben Fuß Höhe am Stein fest. Wie eine Spinne kroch er an der Mauer empor. Hanin beobachtete den Schatten, der zuckend über ihm schwebte. Er schien ungefähr Messans Größe zu haben, war jedoch schmaler. Den Assassinen bemerkte er nicht, zumindest folgte er weiterhin stur seinem Bewegungsmuster. Es war ihr klar, dass sie ein großes Risiko eingingen. Keiner von ihnen wusste, was diese Wesen waren oder wie sie ihre Welt wahrnahmen. Die Taktik der Assassinen beschränkte sich darauf, nicht gesehen zu werden. Hanin hoffte, dass die Schatten sich ebenso nach den Informationen richteten, die ihre Augen ihnen lieferten, wie es Elfen und Menschen taten.
    Sonst könnte es eng werden, dachte sie.
    Der Schatten glitt auf seinem Weg nach unten rasch auf Messan zu. Der Assassine hielt inne und presste sich so eng an die Mauer, dass er mit ihr zu verschmelzen schien. Hanin musste ihre ganze Konzentration aufbringen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
    Immer näher kam ihm der Schatten.
    »Was passiert, wenn er Messan sieht?«, flüsterte Inran, aber Yassaf brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
    Der Schatten stoppte. So dicht schwebte er neben Messan, dass der nur den Arm hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Hanin stockte der Atem, ihr Mund wurde trocken. Völlig reglos hing der Assassine an der Wand. Sie bezweifelte, dass die beiden Anwärter ihn noch erkennen konnten, selbst für Hanin war er fast verschwunden. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, dann endlich schwebte der Schatten weiter nach unten.
    Sie stieß den Atem aus. Messans Umrisse waren nun wieder deutlicher zu erkennen. Rasch kletterte er das letzte Stück nach oben und verschwand durch eines der Fenster im Inneren. Hanin drehte sich zu den beiden Anwärtern um. »Ihr müsst schneller klettern als Messan«, flüsterte sie. »Ihr könnt euch nicht so gut verbergen wie er. Traut ihr euch das zu?«
    Beide nickten, Inran allerdings zögerlicher als Yassaf. Hanin hoffte, dass er nicht die Nerven verlor. »Lauft zur Mauer. Auf mein Signal klettert ihr los!«
    Sie befolgten ihren Befehl. Geduckt liefen sie bis zum Turm und pressten sich mit dem Rücken gegen den Stein. Inran versuchte, sich zu verbergen, Yassaf machte keine Anstalten, sondern vertraute wohl auf seine Geschwindigkeit. Hanin wartete, bis der Schatten auf einer Höhe mit dem beleuchteten Fenster war, dann hob sie die Hand. Die beiden Assassinen fuhren herum, dann stießen sie sich gleichzeitig ab und kletterten los. Sie waren wirklich schnell, vor allem Yassaf, der seinen Bruder rasch hinter sich ließ und wie auf einer Leiter nach oben kletterte, so als hätte er es nicht nötig, nach Vorsprüngen und Lücken im Stein zu suchen.
    Nicht so schnell!, hätte ihm Hanin am liebsten zugerufen. Sei vorsichtiger!
    Der Schatten war noch weit genug entfernt, es gab keinen Grund, ein solches Risiko einzugehen. Selbst Inran, der wesentlich langsamer vorankam, würde das Fenster erreichen, bevor ihm der Schatten zu nahe kam. Messan beugte sich bereits heraus, um ihn und seinen Bruder ins Innere zu ziehen,
    Hanin ahnte, was passieren würde, doch als es geschah, musste sie sich trotzdem auf die Lippen beißen, um einen Schrei zu unterdrücken. Yassaf rutschte ab. Einen Moment lang hing er an einer Hand von der Mauer, dann verlor er endgültig den Halt und stürzte. Seinen Bruder hätte er beinahe mitgerissen. Inran entging dem nur, weil er sich geistesgegenwärtig flach an den Stein drückte.
    Mit einem dumpfen Knall schlug Yassaf im Gras auf. Sein Stöhnen brach nach nur einem Augenblick ab. Wahrscheinlich hielt er sich den Mund zu. Hanin warf einen Blick auf den Schatten, der knapp unter dem Dach des Turms seine Bahn zog. Er schien den Sturz nicht bemerkt zu haben. Hanin wollte bereits aufatmen, da fiel ihr der andere Schatten auf. Er hing knapp über dem Boden, allerdings ein ganzes Stück entfernt von Yassaf.

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