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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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der zum Turm führte, vermied Hanin, die an der Spitze der kleinen Gruppe lief. Sie sahen bei Nacht fast so gut wie bei Tag, sie musste also nicht befürchten, dass jemand in ein Kaninchenloch trat oder über eine Wurzel fiel. Die Dunkelheit hatte aber auch einen anderen Vorteil, denn sie nahm dem Turm einen Teil seiner Düsternis, ließ ihn mit der Nacht verschmelzen. Je weniger man von ihm sah, desto besser.
    Die Schatten umschwirrten ihn nach wie vor, aber es waren nicht mehr so viele wie bei Tag. Hanin schätzte, dass kaum die Hälfte übrig war. Zählen konnte sie die Schemen nicht. Sie sahen alle gleich aus und wirbelten so wild durcheinander, dass man keinen Überblick bekam. Sie schätzte jedoch, dass es ungefähr zwanzig waren.
    Ich will nicht wissen, was ihr seid, dachte sie, aber ich werde es wohl herausfinden.
    Sie schlug einen Bogen, als sie dem Turm so nahe kam, dass man sie mit bloßem Auge hätte sehen können. Den anderen musste sie nichts erklären, sie kannten die Taktik. So lange wie möglich würden sie sich in den Schatten, hinter Sträuchern, Bäumen und Felsen verbergen. Offenes Gelände und offener Kampf waren die Feinde der Assassinen.
    In sicherem Abstand umrundeten sie den Turm. Auf der anderen Seite hatte Hanin ein Waldstück gesehen, das bis auf einen Steinwurf an das Gebäude heranreichte. Die Mauern des Turms waren griffig, rau und voller Vorsprünge. Es würde Hanin und den anderen leichtfallen, sie bis zu den Fenstern zu erklimmen.
    Wenn ihnen die Schatten nicht in die Quere kamen.
    »Was zum ...«, murmelte Messan hinter Hanin. Sie sah im gleichen Moment, was er meinte. In einiger Entfernung stand die Statue eines Elches. Sie war aus Eis und wirkte so lebensecht, dass Hanin auf einmal bezweifelte, dass es sich wirklich um eine Statue handelte.
    »Hat jemand diesen Elch eingefroren?«, fragte Inran leise.
    Es sah tatsächlich so aus. Das Tier stand auf seinen Hinterläufen, die Flügel waren ausgebreitet, das Maul geöffnet. Hanin konnte sogar die braunen Augen unter der Eisschicht erkennen. Das war keine Statue, das war eine perverse Zurschaustellung mächtiger Magie. Hanin lauschte in die Dunkelheit hinein, hörte aber kein Knacken und Tropfen. Das Eis taute nicht.
    Messan schüttelte langsam den Kopf. Der Anblick schien ihn ebenso zu verstören wie Hanin. »Was ist hier los?«
    Sie glaubte nicht, dass er eine Antwort auf seine Frage erwartete. Lautlos liefen sie weiter, in das Waldstück hinein und hindurch. Einige Vögel stiegen mit lautem Flügelschlag aus einem Baum auf, ließen sich aber direkt im nächsten nieder. Dass man diesen kurzen Zwischenfall im Turm bemerkt hatte, konnte sich Hanin nicht vorstellen.
    Am Rand des Waldstücks hielt die Assassinin an. Einige Stockwerke über ihnen brannte Licht in einem der Fenster. Sie zeigte darauf und dann auf sich selbst. Mit einer zweiten Geste schickte sie die anderen zu einem der dunklen Fenster darunter. Vor den Schatten warnte sie nicht. Kein Assassine würde sich freiwillig mit einem Gegner anlegen, dessen Fähigkeiten er nicht einschätzen konnte.
    Gemeinsam warteten sie ab, beobachteten dabei den wilden Tanz der Schatten. Nach einer Weile erkannte Hanin, dass das, was sie für Chaos gehalten hatte, einem genau strukturierten Muster folgte. Jeder Schatten hatte seinen eigenen Bereich zu bewachen, in dem er sich von oben nach unten und von links nach rechts bewegte. Es gab nur wenige Überschneidungen an Stellen, die wer auch immer für diese Einteilung sorgte, für besonders schützenswert hielt, doch die Fenster hoch über dem Boden gehörten nicht dazu.
    Hanin warf Messan einen kurzen Blick zu. Er bemerkte ihn und nickte, hatte anscheinend das Muster ebenfalls erkannt. Ohne ihren Befehl abzuwarten, lief er geduckt los. Hanin war nicht überrascht, schließlich war es nur logisch, dass er als Erster gehen würde. Jemand musste den beiden Anwärtern zeigen, was sie zu tun hatten, und als Anführerin der Gruppe kam Hanin dafür nicht infrage. Wenn etwas schiefging, lag es in ihrer Verantwortung, die anderen sicher zurückzubringen.
    Nach nur wenigen Schritten verlor sie Messan aus den Augen. Alles um ihn konnte sie erkennen, die Sträucher, das Gras, den rauen Stein des Turms, aber er selbst blieb ihr verborgen. Das war eines der großen Geheimnisse der Assassinen, die sie vor der Außenwelt verbargen. Sie lernten nicht nur, sich lautlos zu bewegen, sondern sich selbst so weit zurückzunehmen, dass sie für andere zu einem Teil

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