Die Kristallhexe
ohnehin mehr Bürde als Hilfe.«
»Wie du willst.« Es war Leonidas nicht anzusehen, was er von dieser Entscheidung hielt. Wenn er wollte, konnte er jegliche Mimik aus seinem Löwengesicht verbannen. »Dann ziehst du mich und meine Krieger also vom Kampf gegen die Iolair ab?«
»Nein, ganz im Gegenteil«, sagte Alberich. »Ich will, dass du weiterhin gegen diese lästigen Rebellen vorgehst. Du sollst dort draußen meine Augen, meine Ohren und mein Schwertarm sein. Was immer du brauchst, um deine Aufgaben zu erfüllen, du wirst es bekommen. Hast du das verstanden?«
»Ich habe es verstanden. Du gibst mir uneingeschränkte Vollmacht.« Leonidas nahm seinen Helm vom Thron und nickte. In seinen gelben Augen blitzte es kurz auf.
Alberich wusste, dass er damit ein Risiko einging. Doch er hatte keine Wahl. Noch hatte Leonidas seine Pflicht zu erfüllen. Seltsamerweise war ausgerechnet er der Einzige von allen Untergebenen, dem Alberich eine solche Verantwortung anvertrauen konnte. Er war kein Elf, kein Gestaltwandler, kein Wergeschöpf. Leonidas war einzigartig, und genau deswegen war er der richtige Mann für diese Aufgabe. Wenn er sie gut erfüllte, ließ Alberich ihn eines Tages vielleicht sogar frei.
Die Frage, ob er das riskieren konnte, beschäftigte ihn nicht lange. Er hatte Wichtigeres zu tun, und Leonidas war vorerst vollauf beschäftigt.
»Und?«, fragte Delios, als der General mit raumgreifenden Schritten zurückkehrte. Er und die anderen Löwenkrieger hatten auf ihren Pferden vor dem Eingang des Palastes gewartet. Leonidas knurrte nur, nahm die Zügel seines Pferdes und schwang sich in den Sattel.
»Hast du ihm alles erzählt?«
»Nein. Ein paar Details habe ich verschwiegen.«
»Dein Kopf ist noch dran. Das ist immerhin etwas.«
»Aber nicht viel.« Leonidas senkte seine Stimme. »Alberich will, dass wir uns um die Iolair, das fliegende Schiff und Fokke kümmern. Wir kriegen alles, was wir brauchen.«
Delios’ Augen weiteten sich. »Das macht dich nach dem Herrscher zum zweitmächtigsten Mann im ganzen Reich.«
»Es macht mich vor allem zu einem viel beschäftigten Mann. Und viel beschäftigte Männer haben keine Zeit zum Denken. Das weiß Alberich, und das will er auch.«
Leonidas setzte seinen Helm auf. »Meine Macht legt mich in Ketten.« Er gab das Signal zum Aufbruch.
2
Vermutungen
E inige Zeit zuvor
»Du«, flüsterte Luca. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigte er auf Norbert Rimmzahn. » Du bist der Schattenlord ...«
Er konnte nicht sagen, welche Reaktion er auf seine Anschuldigung erwartet hatte, zu spontan war ihm die Erkenntnis gekommen. Aber dass Rimmzahn nach kurzem Zögern zu lachen begann, überraschte ihn dann doch.
»Ich bin der was ?«, fragte er amüsiert. »Wie kommst du denn auf diese Idee?«
Luca wurde auf einmal unsicher. Er hatte sich von den Hütten entfernt, die in der einsetzenden Dunkelheit wie große graue Schildkröten hinter ihm standen. Der Platz, um den sie sich gruppierten, war leer. Am Waldrand, wo er und Rimmzahn standen, hielt sich niemand außer ihnen auf. Luca wurde klar, dass er sich möglicherweise in Gefahr befand.
»Ich ...«, begann er, dann setzte er neu an. »Als du gerade aus dem Wald kamst, sahst du viel größer aus, und da war etwas an dir ...«
»Du hast eine bemerkenswerte Phantasie.« Rimmzahn wirkte nicht wie jemand, dessen größtes Geheimnis gerade auf geflogen war. »Es ist eigentlich nicht meine Art, auf haltlose Anschuldigungen zu reagieren, aber da ich weiß, wie die Dinge in unserer kleinen Gemeinschaft aufgebauscht und verfälscht werden, werde ich trotzdem auf deine Behauptung antworten.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann dir versichern, dass ich nicht der Schattenlord bin, dass ich nichts mit ihm zu tun habe und auch nichts über ihn weiß. Beruhigt das deine Phantasie ein wenig?«
»Ich glaube schon«, sagte Luca langsam. Der Gedanke, dass er vielleicht allein mit dem Schattenlord war, raubte ihm fast die Sprache.
Rimmzahn seufzte. »Ich unterstelle dir keine böse Absicht. Du bist jung und lässt dich im Gegensatz zu deiner Schwester leicht von den Falschen beeinflussen.«
Luca wollte ihm widersprechen, ihm sagen, er solle Sandra endlich in Ruhe lassen, so, wie er es sich vorgenommen hatte, aber das traute er sich nicht mehr.
»Es ist wichtig«, fuhr Rimmzahn fort, »dass gerade die Jugend in unserem Lager begreift, dass sich einiges hier ändern muss.
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