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Die Kristallwelt der Robina Crux

Die Kristallwelt der Robina Crux

Titel: Die Kristallwelt der Robina Crux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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über ihr Weinen; sie fühlte, begriff, daß etwas Großartiges geschehen war.
    Trotz beinahe zwei Parsec Wegstrecke, trotz trockener Erde, ungeachtet des Aufpralls auf der Wand, des lebensfeindlichen Raumes und der toten Pracht ringsum nahm hier etwas, einige Hälmchen zunächst, seine Chance, seine Lebenschance wahr. Und Robina gedachte des Wunderbaren, das sich da vollzog, stellte sich vor, wie es aus den grauen, schwarzen und braunen, auf jeden Fall unscheinbaren kleinen Körnchen, befohlen von den DNS-Spiralen, jetzt zum Licht drängte. Stattliche, vielleicht prächtig blühende, aber bestimmt schöne, wunderschöne Pflanzen würden sich entfalten. Und erst da wurde Robina wirklich klar, glockenklar, nach fast einem Jahr der Höhen und Tiefen, des Schwankens zwischen Verzweiflung und stets angekränkelter Zuversicht, daß sie das Geschenk, das ihr zuteil geworden, ihr Leben, zu achten und mit allen Mitteln zu erhalten habe. Kein Mensch hatte das Recht, sein Leben leichtfertig wegzuwerfen, und auf sie, Robina Crux, traf das in besonderem Maße wie vielleicht auf keinen anderen Menschen zu.
    Und Robina gelobte sich voller Rührung in der profanen Kabine, vor der kleinen, roh zusammengeschweißten Plastschale, im Gedenken des Vermächtnisses einer Toten und angesichts der aus der Erde sprießenden gebrechlichen grünen Pflänzchen, nie wieder Stimmungen auf kommen zu lassen, die zu der Frage „Wozu?“ provozierten. Alles wollte sie daransetzen, den Rest ihres Lebens so zu leben, daß aus ihrem Dasein auf dem Boliden größtmöglicher Nutzen erwachsen würde, und an den Tod nur zu denken als an einen unabdingbaren biologischen Akt, den sie wie kaum ein anderer Mensch die Gelegenheit hatte zu überdauern. „Meine Chance“, murmelte Robina. Und sie sah plötzlich wie einen strahlend erleuchteten Weg den Sinn ihres Seins vor sich liegen. Selten zuvor, so empfand sie, war einem Menschen seine Aufgabe, sein Beitrag zur Menschlichkeit so klar.
    Robina stand versunken vor der Schale. Die Größe des Augenblicks bedrückte sie, machte sie aber gleichzeitig glücklich, und es wurde ihr bewußt, daß es ihre schönste „Geburtstagsfeier“ werden würde. Früher machte man sich Geschenke zu derartigen Gedenktagen. Eine Großmutter, an die sich Robina nur undeutlich erinnern konnte, obwohl die alte resolute Dame noch irgendwo in Frankreich leben sollte, wußte davon zu berichten. Ein Prüfstein für echte Zuneigung oder bloße Verpflichtung war ein solches Geschenk, auf jeden Fall ein materieller Wert, daher wohl hatte es schlechthin seinen Sinn verloren. Wer freut sich heute schon über etwas, das er im Magazin um die Ecke bekommt oder sich in die Wohnung bringen läßt.
    Und doch fand Robina im Augenblick diesen Brauch schön. Hätte ich mich nicht gefreut, wenn Boris manchmal, vielleicht zum Wiedersehn nach längerer Trennung, mir irgend etwas mitgebracht hätte als einen Beweis, daß ich auch in Abwesenheit in seinem Denken – und Sehnen – eine gewisse Rolle gespielt habe? Eben etwas, das es um die Ecke herum nicht gibt? Eine flüchtig aufgeschriebene Zeile vielleicht, eine hübsche Begebenheit, mündlich erzählt, oder sogar etwas Materielles, etwas Altertümliches, ein Buch oder etwas Selbstgefertigtes.
    Und Robi, wo waren deine Aufmerksamkeiten dieser Art? Du hast gesorgt, daß er sich wohl fühlte, versucht, seine Wünsche auch die unausgesprochenen, zu erfüllen. Aber das war auch schon alles, vielleicht viel, zu viel. Er hat es nicht bemerkt.
    Oh, er dachte rationell, der Liebe. Warum traurig sein, Robi, wenn wir uns nicht sehen, warum Sehnsucht aufkommen lassen? Im Augenblick, verstehst du, das Glück packen, es auskosten. Aber nein, damit leugne ich doch nicht das Planmäßige, das Denken in größeren Dimensionen. Ist es nicht sehr viel nützlicher so? Und ständig angestrebtes Erhabenes führt auch zur Verflachung… So konntest du, Boris, beinahe überzeugend argumentieren, in tausend Varianten. Und ich habe mich oft, zu oft überzeugen lassen.
    Und dann war es dir eben nicht mehr vernünftig genug, die vier Stunden Reisezeit von Bamako zu mir auf dich zu nehmen, zuviel, um die kleine Robi mit den Kuhaugen zu treffen, mit ihr zu albern, zärtlich zu sein…
    Robina strich sich mit der Hand über die Augen. Ob er etwas empfände, wenn er je erführe, wie es mir tatsächlich ergangen ist daß ich bis an mein Ende noch auf diesem Kristallhaufen herumgelaufen bin, Gelegenheit hatte, viel an früher zu

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