Die Kristallwelt der Robina Crux
Betätigungsfeld. Nur die Frage, die kleine Frage: Warum geschieht das alles so? ist nicht beantwortet; es geschieht eben – als eine Existenzform der Materie. Früher schien das einfach. Dem Mysterium Gott wurde alles Unerklärbare zugeschoben, Gott in unzähligen Variationen. Irgendwie, so dachte Robina, hatten die Menschen es damit leichter. Gott war das Gleis, auf das die Züge, beladen mit Fragen, abgeschoben wurden. Manchmal spann, verstrickt in diese Fragen, Robina Seltsames: Wie, wenn nur eine Lebensform existierte, ein winziges Energiebündel, ein Knäuel aller Wellenformen ineinander moduliert, genauso zufällig entstanden wie Oparins Koazervate. Und diese Modulare bauten die Ketten, die sie am besten die Umwelt und die Zeit überdauern ließen, so daß Ameise und Fisch, Eiche und Mensch und die Anderen nur Anpassungsformen dieser Modulare an verschiedene Umweltbedingungen wären…
Stets, wenn Robina diesen Punkt ihrer Betrachtungen erreicht hatte, ihn ausspinnen, von allen Seiten beleuchten wollte, wachte sie auf aus ihrem Meditieren, und stets gelang es ihr, dieses absurde Denken abzuschütteln und nüchtern einzuschätzen, daß sie spann. Aber trotzdem blieb sie bei ihrer Meinung, daß das Großartige, das in jeder Zelle schlummerte, längst nicht von allen Menschen empfunden wurde, und sie fand das jammerschade. Und mehr als einmal dachte sie, daß sie Gelegenheit nehmen würde, es vielen, es allen zu sagen.
In ihrer Ohnmacht beschloß sie, ein Kapitel ihrer Stele diesem Thema zu widmen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Anderen lediglich – aus Unverständnis – in Verwirrung gerieten. Aber später, wenn der Kontakt hergestellt sein würde, erführen es die Menschen. Der Funk würde mit tausend Kommentaren über alle Kontinente aus den Videoschirmen strahlen, jeder hätte dafür Interesse, und etliche würden vielleicht das verstehen, was ihr hier in der Schwärze des Alls aufgegangen war. Und abermals spürte Robina die Größe ihrer Mission und die Schwere ihrer Verantwortung.
Sie ahnte, daß sie in der Welt des Kollektivs, der gemeinsamen Leistung, eine Art Anachronismus darstellen würde, daß sie zur Heldin, zum Idol gemacht werden könnte, nicht bewußt, sondern allein aus der Tatsache ihres Überlebens heraus. Diese Erkenntnis bedrückte sie ein wenig. Sie begann jeden Buchstaben, den sie brannte, gedanklich hin- und herzuwenden, wie früher Geizkragen jeden Pfennig, bevor sie ihn ausgaben…
Einige Tage später stand eine junge Frau unbekleidet, so wie sie an diesem Morgen vom Lager aufgestiegen war, vor einer grauen Schale. Sie stand unter dem Tageslichtstrahler, dessen Schein das wirre lange Haar mit einer Aureole umgab, stand zwischen nüchternen, funktionellen Gerätschaften und Behältern, Armaturen und Meßinstrumenten in einer Kammer, deren orangefarbene Plastwände von einem großen Menschen zu berühren gewesen wären, wenn er die Arme spreizte. Auf ihrem Gesicht lag ein eingefrorenes, ein wenig einfältiges Lächeln, und sie starrte auf ein bizarres Gebilde aus zartem organischem Gewebe, ein Krönchen, bläulichweiß geflammt, mit Zacken und gebogenen Spitzen. Robina Crux starrte lange. Sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie lange. Dann berührte sie mit den Fingerkuppen unendlich vorsichtig dieses Gebilde und stipste zart auf die Zacken, hob das bläuliche Narrenkäppchen an, warf einen Blick hinein in ein fädiges Bündel mit gelben Knöllchen.
Die erste Blüte hatte sich über Nacht entfaltet. Es war eine Akelei, aber das wußte Robina nicht. Niemand hatte sie so etwas gelehrt, es ihr gezeigt, und selbst hatte sie für solche am Rande des Nützlichen liegenden Dinge wenig Interesse gezeigt, ja, nie eine derartige Blüte bewußt gesehen. Freilich, sie hatte oft Gefallen gefunden an einem bunten Wiesenstrauß, den sie auf den wenigen Ausflügen selten genug pflückten, denn die Wiesen, wo man Blumen abzupfen durfte, wurden selten, aber nie hatte Robina das Verlangen gespürt, einzelne dieser Blüten genauer zu betrachten. Ein solcher Strauß war schön, weil er schmückte. Aber das hier war etwas anderes! Ein Gefährte war da herangewachsen, der gleich ihr unter künstlichem Luftdruck Wasser und Wärme aufnahm, der den engen Raum mit ihr teilte, mit ihr lebte.
Robina bog liebkosend das zarte Gewächs mit der Hand, ließ es zurückschnellen. Die Blüte berührte ihre Haut, die Brust. Dann wiegte das Mädchen den Oberkörper hin und her und erschauerte im Schmeicheln der
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