Die Kristallwelt der Robina Crux
den Käfig, verharrte. Dann wurde er eingezogen, glitt erneut vor. Das gleiche Spiel, dreimal, viermal.
„Glaub's nur!“ Robina lachte gekünstelt – wie als kleines Mädchen, wenn sie, bedroht von den Mitschülern, mit dem großen Bruder Ed argumentierte und damit Unsicherheit bei den anderen entstehen ließ. „Bist wohl am Ende mit deinem Latein? Ja? Was also jetzt?“ Robina schöpfte aus ihrer lauten provozierenden Reden Mut.
Die Tatsache, daß der Roboter offenbar ratlos war, versetzte Robina allmählich in einen Taumel der Überlegenheit, der lediglich dadurch gedämpft wurde, daß sich der Birne nach einer Weile um seine Achse drehte und seinen „Blick“ eine Sekunde lang auf Robina ruhen ließ. Dann aber schwebte er auf die Werkbank zu, ergriff ein Gerät, an dem wie eine Blase ein Behälter hing, und wollte sich damit erneut der Tür zuwenden.
Robina hatte begriffen. „Jetzt wird's Ernst“, zischte sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, und sie handelte entschlossen. So wie sie vorher von der Tür weggeglitten war, rutschte sie wieder zurück. Sie preßte sich mit dem Rücken dagegen, die Arme leicht vom Körper gespreizt, den Blick auf den sich nähernden Roboter gerichtet. Anderthalb Meter vor ihr blieb er stehen. Noch nie war er ihr so nahe gewesen, von dem Transport abgesehen, aber da hat er nicht mich, sondern ein Gerümpel gemeint. Jetzt meint er mich!
Als er hielt, nahm Robina ein leichtes Wippen wahr, als wenn ein Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.
Robina spürte ihren Puls fliegen, aber ihr Denken blieb klar. Sie starrte in sein Gesicht, als ob sie ihn hypnotisieren wollte.
Und dann gewahrte sie, daß er Zentimeter um Zentimeter näher rückte. Robina konzentrierte sich. Er ist die Kugel, jetzt, jetzt müssen die Beulen auftreten… Verflixt, wo bleibt denn das Feld, komm doch, komm… Aber es kam nicht.
Zunächst fühlte Robina Enttäuschung, die aber in panische Angst umschlagen konnte, das fürchtete sie. Ich habe mich geirrt. Er hat keine Sperre, er wird mich zermalmen. Weg hier, weg!
Doch Robina war unfähig, sich zu rühren. Wie die Maus im tödlichen Blick der Schlange kam sie sich vor.
So ist das also! Plötzlich kam Ruhe über sie. Ich bin nicht zurückgewichen, hab es versucht bis zum letzten…
Robinas Denken blieb noch immer klar. Jetzt, wenige Augenblicke vor dem Ende müßten, sollte man den Darstellungen glauben, blitzartig wesentliche Stationen des Lebenswegs in der Erinnerung abrollen. – Es rollte nicht, zumindest nicht von allein.
Diese Überlegung ließ Robina einen Augenblick das sich nähernde Ungetüm vergessen.
Es war nichts umsonst, dachte sie. Es ist zwar dürftig, was ich hier geschaffen habe, und vieles bliebe noch zu tun, aber es wird reichen, um zu zeigen, daß ich, Robina Crux, hier war, daß es uns Menschen gibt. Alles andere, was Robina vollbracht hatte in ihrem kurzen Leben, war ohne Bedeutung.
Niemand wird um mich trauern, niemand? Ed schon. Ich bin zu lange weg, den Freunden nicht mehr gegenwärtig. Bald trifft die letzte Meldung der REAKTOM ein, ab dann bin ich ohnehin nicht mehr. Eine Gedenkminute auf einer Tagung. „Ihr habt euch zu Ehren der teuren Toten von den Plätzen erhoben, ich danke euch!“ wird ein Tagungsleiter sagen. Und einige der Anwesenden werden in solchen Augenblicken sogar echte Empfindungen angesichts einer solchen Gewißheit haben. Irgendwo in Instituten und Betrieben wird man ein wenig diskutieren, „…die REAKTOM, das war doch das erste Schiff mit Antimaterieantrieb, das in Richtung Proxima gestartet war und in zwei Jahren zurückerwartet wurde. Ist wohl noch nicht das Richtige mit der Antimaterie…“ Und der eine oder andere mag sich der Besatzung erinnern, vielleicht machen sich einige sogar die Mühe und befragen den Zentralspeicher, lassen Fotos der Besatzung und die Kurzbiographien über den Schirm laufen. „War ein sympathisches Mädchen, die kleine Crux, und noch jung. Soll eine Art Phänomen als Feldoperator gewesen sein… Schade um ihre Erfahrungen.“
Vater – ja, Vater… Vielleicht schmerzt es ihn, es wird ihn gewiß für einige Tage aus der Fassung bringen, seinen Panzer ankratzen. Aber dann wird er sich sagen: Warum hat sie sich engagiert. Es hat sie keiner gezwungen zu diesem im Letzten fragwürdigen Unternehmen. Und er wird so tun, als bestätige das Unglück seine jetzige Lebensauffassung. Und niemand wäre imstande, seine Erinnerung an Zeiten zurückzurufen, in denen er sich
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