Die Kristallwelt der Robina Crux
auf bedeutend fragwürdigere Unternehmungen eingelassen hatte, allein dreimal als Unterhändler zwischen sich streitenden Volksgruppen…
Mutter wird ein wenig weinen, sich der glücklichen Stunden erinnern, in denen wir als Kinder um sie waren. Es ist sicher etwas Großes, zu beobachten, wie junge Menschen heranwachsen, sich entwickeln. Ob die Frauen früher, als sie die Kinder noch durch eine – wie hieß es – Entbindung zur Welt brachten, wirklich ein engeres Verhältnis zu ihnen hatten, allein deswegen?
Schade, auch Kinder werde ich nun nicht mehr haben…
Boris wird vielleicht doch ein wenig wehmütig werden. Bestimmt! Er wird an die Stunden denken, in denen wir zärtlich zueinander waren. Schöne Stunden, auch für ihn schöne Stunden. Ausgeschlossen, daß er sie mit inneren Vorbehalten erlebte. Vielleicht bedauert er sogar, daß sie unwiederbringlich vorbei sind. Vielleicht hat er auf meine Rückkehr gewartet, in der Hoffnung, alles würde wie früher sein. Aber ich wäre an Franks Arm an ihm vorbeigeschritten, hätte ihm noch von der Gangway des Landeschiffes aus „hallo, Boris“ zugerufen und danach gleich zu Frank aufgesehen mit meinem besten Lächeln und etwas Belangloses gesagt, worüber Frank gelächelt hätte. Nie würde ich Frank Boris' wegen verraten haben… Es wäre schön geworden mit Frank… Ed wird es nahegehen, daß ich nicht zurückkomme. Er wird vielleicht neben Willfart und einigen aus dem Physikalischen Rat, die meine Fertigkeiten kennen, der einzige sein, der meinen Tod als echten Verlust empfindet. Er war immer der Meinung, daß in mir etwas steckt, das mich wichtig macht. Hat er mich nicht beinahe bewundert wegen meiner Erfolge in der Territorialarbeit? Dort ließ er sich treiben, empfand den gesellschaftlichen Auftrag als eine Pflicht, deren er sich schlecht und recht entledigte. „Ich bin für die Administration nicht geeignet“, so hat er oft geklagt. „Ich kann einen Trägen nicht aktivieren, einen übertrieben Ehrgeizigen nicht zügeln, niemanden überzeugen, daß gerade er die untere und nicht die obere Kugel beziehen soll, daß Nachtarbeit, auch wenn sie noch so kurz ist, notwendig ist, daß trotz Produktionsüberschuß Verschwendung und Wegwerfideologie verabscheuungswürdige Verhaltensweisen sind, daß trotz absoluter Freiheit der Partnerwahl ein Lotterleben nicht das ist, was die Gesellschaft wünscht, daß…“
Stets hatte er seine Tage der kommunalen Arbeit als Tage geringer eigener Effektivität betrachtet. Und nun hat er keine Robi mehr, die den Großen tröstet und im Trost eigene Erfahrungen vermittelt.
Sie war ein bißchen sehr zurückhaltend, werden die Freunde sagen. Oft ist sie zu ihrem Bruder gereist an den freien Tagen oder hat sich mit irgendwelchen träge gewordenen Territorialbeauftragten des Rates herumgestrubbelt. Sie hätte mehr Leichtigkeit gebraucht, aber schließlich kann man niemanden dazu zwingen, war halt so ein Typ, ein wenig unscheinbar vielleicht. Sie ist zu selten mit uns im Emotiodrom gewesen. „Ich fühle lieber natürlich“, hat sie argumentiert.
Sie alle werden so oder ähnlich empfinden, wenn die Nachricht vom Untergang der REAKTOM sie erreicht. Niemand wird ahnen, daß ich noch mehr als ein irdisches Jahr gelebt habe als einziger Informationsträger der Menschheit, als erster, der den kosmischen Kontakt zu den Anderen herstellte…
Als der Manipulator sie berührte, schreckte Robina auf. Plötzlich packte sie Lebenswille, einen Augenblick nur. Angesichts des hochaufgerichteten Roboters vor ihr erschlaffte sie jedoch vollends, und es war ihr, als geschähe alles nicht wirklich, als träume sie. „Aber die Blumen, die Blumen gehen doch zugrunde…“, murmelte sie.
Robina lehnte schlaff an der Tür, gehalten vom Raumanzug. Sie gewahrte kaum, daß ihr Körper abgetastet wurde, nachdrücklich, aber mit der Behutsamkeit eines Arztes, von unten, an den Beinen angefangen, nach oben. Ein Andruck, eine Pause, der nächste Andruck, Pause, einige Zentimeter weiter oben…
Robina kehrte in die Wirklichkeit zurück, als sie den Druck in der Schoßgegend verspürte. Das geht doch nicht, dachte sie, daß ich mich hier betasten lasse.
Und dann durchströmte sie etwas Unbeschreibliches, etwas das sie glücklich machte, daß ihr Tränen in die Augen stiegen. Ich lebe! Er will mich nicht beseitigen! Kennenlernen will er mich, er speichert meine Daten ein. Ich lebe!
Behutsam straffte sich Robina. Der Birne ließ sich nicht beirren.
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