Die Krone der Macht
Ärzte standen vor einem Rätsel. Der König wurde in der großen Halle aufgebahrt, und das trauernde Volk zog an ihm vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Zwei Tage waren seit der Schlacht vergangen, doch Jarin war immer noch in seinem Zimmer. Die beiden Königssöhne, verwirrt durch den Tod des Vaters und ratlos, hatten immer wieder an seine Türen geklopft, aber keine Antwort erhalten. Durch die schwere Eichentür klangen jedoch seltsame Geräusche, und sie vermeinten auch, Jarins Stimme zu hören, und daher nahmen sie an, dass er noch lebte.
Am dritten Tag öffnet sich das Portal der großen Halle, in der die Minister und die Edlen am Katafalk des Königs versammelt waren, denn er sollte heute zu Grabe getragen werden. Jarin trat ein. Bleich und abgezehrt sah er aus, und doch wirkte seine Haltung majestätisch. In den Händen trug er einen unscheinbaren Kasten aus schwarzem Holz.
„Nie war ein Mann tapferer als dieser Gefallene hier, der es gewagt hat, dem Schrecken zu trotzen! Keine Waffe war es, die ihn fällte. Doch kein Sterblicher darf wagen, seine Hand gegen Doron zu erheben, ohne sein Leben zu verlieren. Um mit ihm zu kämpfen, muss man besonders gerüstet sein. Er kann genau wie ich nicht durch die Hand eines Menschen sterben. Nur mit Hilfe der Götter kann seine Macht gebrochen werden. Doron hat mich fast besiegt, doch dass er den Sieg nicht vollends erringen konnte, nahm ihm fast all seine Macht, und es wird lange dauern, bis dass er sich von diesem Schlag erholt. Auch mich hat dieser Kampf sehr geschwächt, und es hat mich noch mehr Kraft gekostet, des Giftes Herr zu werden. Darum werde ich euch verlassen, um an einem geheimen Ort meine Kräfte wiedergewinnen zu können. Doch damit eure Nachkommen vor Doron geschützt werden, habe ich - des tapferen Helden hier gedenkend – die mir verbliebene Macht hierin gesammelt“
Mit diesen Worten hob er den Deckel und nahm aus dem Kasten einen gold enen Reif, der mit Edelsteinen besetzt war.
„ Diese Krone schenke ich eurem Herrschergeschlecht“, sprach er. „Immer der älteste Nachkomme, ob Sohn oder Tochter, soll die Krone und damit die Herrschaft erben. Solange die Krone in Besitz des rechtmäßigen Herrschers ist, wird Doron euch nichts anhaben können. Doch noch weitere Kraft ist in ihr. Sobald der Herrscher die Krone das erste Mal trägt, wird er wissen, wie es in seinem Reich steht - ob es dem Volk gut geht oder ob ihm etwas mangelt. Es ist aber nicht nur das Wissen um diese Dinge, die die Krone vermittelt. Der König wird mit seinem Volk fühlen und sich somit bemühen, es glücklich zu machen. Jeder rechtmäßige Erbe wird an seinem einundzwanzigsten Geburtstag den Wunsch verspüren, die Krone zu tragen. So kann kein Herrscher die Annahme der Krone verweigern, um die Folgen nicht tragen zu müssen. Eine weitere Eigenschaft noch hat dieses Diadem: Wer es einmal getragen hat, wird über einen Teil meiner Kräfte verfügen auch ohne dass er es ständig trägt. Nur einmal im Jahr soll er die Krone aufsetzen, da sonst die ihm verliehenen Kräfte schwächer werden.
Und nun, Sarris “, sprach er zu dem ältesten Königssohn, „ werde ich dir die Krone aufs Haupt setzen. Du hast das einundzwanzigste Jahr erreicht und bist der rechtmäßige Erbe des Königs, zu dessen Gedenken und um meine Dankesschuld abzutragen ich dieses Kleinod schuf.“
„Seit diesen Tagen“, schloss nun Maridor, „ist die Krone in unserem Besitz, und an deinem Geburtstag solltest du sie das erste Mal tragen. Aber auch meine Sinne sind durch die Krone geschärft, und sie hat mich mit Kräften bedacht, die kein anderer besitzt. Darum drängt mich irgendetwas, dir die Krone schon heute zu übergeben. Ich ahne, dass es an deinem Geburtstag zu spät sein könnte. Komm, Sarja“, sagte sie dann und erhob sich, „du sollst nun dein Erbe antreten.“
Die beiden Frauen verließen die Bibliothek. Maridor schritt voran, einen Leuchter in der einen, einen großen Schlüsselbund in der anderen Hand. Sie folgten einem langen Gang, durchquerten mehrere Säle und gelangten schließlich in den Teil des Schlosses, der die Schatzkammer beherbergte. Nachdem sie eine gewundene Treppe nach unten gestiegen waren, gelangten sie zu einer massiven, mit Eisen beschlagenen Tür mit mächtigen Schlössern, vor der zwei Wachen standen. Die beiden Männer senkten grüßend die blankgezogenen Schwerter, als die Königin sich ihnen näherte, und gaben dann die Tür frei.
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