Die Krone von Lytar
Hüften ging Meliande dem Priester entgegen und zog plötzlich das Interesse aller männlichen Wesen im weiteren Umkreis zwischen Krippe und Grabstein auf sich. Die Augen des Priesters weiteten sich, er schluckte und holte tief Luft, blieb aber standhaft und hielt ihr ein letztes Mal das heilige Symbol eines Glaubens entgegen.
»Schhh«, sagte Meliande mit einem verführerischen Lächeln, bevor der Priester wieder anfing, Dämonen auszutreiben und in die sieben Höllen zurückzuschicken. »Ist ja schon gut …«
»Mit diesem Symbol …«, stammelte der Priester, doch seine Stimme verlor sich, als sie ihm sanft einen Finger auf die Lippen legte.
»Schhh«, sagte sie erneut und schenkte ihm ein weiteres bezauberndes Lächeln. Meliande stand nun vor ihm, knapp zwei Fingerbreit größer als der Priester, und streckte die Hand aus, um sanft das heilige Symbol des Priesters zu ergreifen. Vorsichtig zog sie ihm die schwere goldene Kette über den Kopf und hielt es in der Hand: ein stilisiertes Auge mit einer Laterne.
»Erion. Hm … Ist schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal so eines sah. Dein Gott steht für Wissen und Weisheit, nicht wahr?« Sie legte den Kopf schräg und musterte den Priester. »Sohn, wo sind denn deine Weisheit und dein Wissen bei diesem Versuch? Was wäre denn gewesen, wenn du recht gehabt hättest? Du bist allein, und wir sind sieben. Was wäre geschehen?«
»Mein Glauben macht mich stärker als eine Legion von Dämonen«, erwiderte der Priester gefasst, offensichtlich hatte er sich wieder etwas gefangen. Doch allzu sicher hörte er sich nicht an, es klang eher wie eine Frage.
Elyras Augen wanderten von Meliande zum Priester und wieder zurück, als ob sie einem Ballspiel folgen würde.
»Aber wohl kaum intelligenter«, erwiderte Meliande sarkastisch. »Nur damit du es weißt: Ich bin noch nie gestorben. Wie kann ich also ein Untoter oder ein Geist sein? Ergibt das Sinn für dich? Und wieso sollten wir böse sein? Haben sie dir in der Priesterschule kein anderes Gebet beigebracht? Eines, das dich das Übel erkennen lässt? Hm?«
»Ihr seid nicht gestorben?«
»Sag ich doch.«
»Ihr seid nicht tot?«
»Nein!«
»Und Ihr sagt, Ihr seid nicht böse?«
Meliande lächelte ihn freundlich an. »Jetzt hast du es verstanden. Ich behaupte jetzt nicht, dass ich ein liebes Mädchen bin oder immer brav war. Das wäre eine Lüge.« Sie leckte sich über die vollen Lippen. Der Priester starrte ihren Mund an, schien hilflos und wie festgefroren.
Elyra stand daneben, beobachtete all das genau und lernte. Unwillkürlich fuhr sie sich selbst mit der eigenen Zunge über ihre Lippen. Zumindest Tarlon sah jetzt genauso gebannt auf Elyra wie der Priester auf Meliande.
»Aber wenn du mir das nicht glaubst, Priester des Erion«, sagte Meliande und zog eine niedliche Schnute, »dann kannst du es doch selbst herausfinden, oder?«
Der Priester nickte, öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Er wirkte verzweifelt.
»Ja?«, fragte Meliande zuckersüß.
»Ich … ich brauche mein heiliges Symbol dafür …«, stammelte er verlegen.
»Warum sagst du das nicht gleich?« Sie hob das heilige Symbol an ihre vollen Lippen, küsste es und reichte es ihm mit einem höflichen Knicks. »So, da hast du es. Viel Glück!«
Dann drehte sie sich um und ging zurück zu den anderen. Noch immer war ihr Hüftschwung unwiderstehlich.
»Danke, Garret«, sagte sie mit einem Lächeln und nahm Garret ihr Weinglas aus der Hand. Er blinzelte wiederholt, schien leicht benommen.
»Du hast es dem armen Kerl aber ziemlich gegeben«, sagte Barius mit einem leicht vorwurfsvollen Ton zu ihr. »War das denn notwendig?«
Meliande war plötzlich wieder sie selbst und schien diese überirdische Aura auf der Stelle zu verlieren. »Ja. Ich habe eine Lehrstunde gegeben. Ich habe keinen Zauber verwendet, keine Gewalt, rein gar nichts. Abgesehen davon, wäre es so gewesen, wie er glaubte, dann hätte er keinerlei Chance gehabt. Ein sinnloses Opfer. Das muss er wohl noch lernen!«
»Lehrstunde? Für wen? Den Priester oder Elyra? Sie ist zu jung für so etwas«, wandte Barius ein.
»Für beide. Hauptsächlich Elyra. Sie ist nicht zu jung. Vielleicht braucht sie es früher, als sie es will. Zudem begibt sie sich auf den falschen Weg. Ihr Weg führt nicht zu Erion.« Sie schmunzelte. »Er hat sich nur noch nicht getraut, es ihr zu sagen.«
»Aber, Meli, der Priester hat recht, in einer gewissen Art und Weise.«
»Blödsinn«, schnaubte
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