Die Krone von Lytar
Lamar etwas verächtlich. »Immer singen Priester, anstatt einfach zu tun, was getan werden muss! Diese Elyra hätte sich jedenfalls besser nützlich gemacht, wenn sie den anderen dabei geholfen hätte, die Verwundeten zu versorgen!«
»Vielleicht – vielleicht auch nicht«, antwortete der alte Mann und warf einen schelmischen Blick an Lamar vorbei in die Menge der Zuhörer.
Lamar drehte sich um, konnte aber außer einem alten Mann und seiner Tochter, die weiter hinten im Raum saßen, nichts Besonderes erkennen. Doch der Geschichtenerzähler sprach bereits weiter.
»Ich bin kein Priester, aber so viel weiß ich: Gesang berührt die Herzen der Menschen. Elyra sang davon, dass die Götter gerecht sind, dass sie uns nicht im Stich lassen werden und dass in diesem Glauben die Kraft liegt, auch die härteste Prüfung zu bestehen. Ihr Gesang gab den Menschen Zuversicht und Hoffnung.« Der alte Mann klopfte die Asche aus seiner Pfeife. »Wisst Ihr, sie glaubte so fest daran, dass jeder andere es schließlich auch tat. Und so war am Ende sie es, die den Menschen den Glauben und den Priestern die Kraft gab, ihr Werk zu verrichten.«
Für manche, zu denen auch Garret gehörte, war es ein trauriges Werk, denn sie mussten die Toten hinaus auf die Straße tragen. Viele der Opfer waren so stark verbrannt, dass es kaum noch möglich war, sie zu identifizieren. Das Feuer hatte auf seltsame Weise gewütet. Hier und da waren Körperteile unversehrt geblieben, während der Rest des Körpers vollständig verkohlt war. So konnte Garret Marietta allein an ihrer Hand erkennen, die als Einziges an ihr unversehrt geblieben war. Er musste mit einem Mal an ihr Lachen denken und begann unwillkürlich zu schluchzen.
Auch andere waren herbeigeeilt, darunter der junge Priester, die Sera Bardin und die Hüter, allen voran Barius, der eine glänzende Rüstung trug. Er legte eine gepanzerte Hand auf die Brust der Verletzten und rief mit donnernder Stimme seinen Gott an. Fast schien es Garret so, als gäbe er dem Opfer den Befehl, im Namen seines Gottes zu genesen!
Es war erhebend, den Wundern zuzusehen, die Ariel, Barius und bisweilen auch der junge Priester an diesem Tag im Namen ihrer Götter vollbrachten. Doch immer wieder ignorierten sowohl Barius als auch Ariel manche der Verletzten. Es war, als würden sie diese nicht einmal sehen. So entdeckte Garret unter einem umgestürzten massiven Tisch ein junges Mädchen, das still für sich weinte. Garret schien es, als sei sie nicht sehr schwer verletzt, doch als er Barius auf sie aufmerksam machte, schritt der Hüter wortlos davon.
Es war die Sera Meliande, die ihn daraufhin beiseite nahm. »Sein Gott führt ihn«, erklärte sie leise, mit einer Stimme, die der Rauch und die bitteren Gerüche rau gemacht hatten. »Er ist nur dessen Instrument, dessen Hand, wenn du so willst, und nicht derjenige, der entscheidet.«
»Aber sie leidet doch! Auch wenn sie nicht so schwer verletzt ist!«, protestierte Garret heiser.
Daraufhin führte die Sera ihn zu dem Mädchen hinüber und bedeutete ihm, auf die andere Seite der schweren Tischplatte zu sehen. Mit Grauen erkannte Garret nun, dass die gesamte untere Hälfte des Mädchenkörpers verbrannt und verkohlt war. Übelkeit stieg in ihm auf, ihm wurde schwarz vor Augen, und eine barmherzige Ohnmacht ersparte ihm den weiteren Anblick.
Als er wieder zu sich kam, lag er einige Schritt weiter entfernt und sah von dort aus zu, wie die Sera Meliande, neben dem Mädchen kniend, ein Gebet murmelte und dann den kalten Stahl in ihrer Hand in den Körper des Kindes senkte. Ein letztes Zittern noch, und die Tochter des Kerzenmachers war erlöst.
»Möge die Herrin ihren Seelen Gnade schenken und ihnen den ewigen Frieden gewähren«, flüsterte die Sera dann, und Garrets Lippen bewegten sich mit den ihren. Es war nicht das. letzte Mal in dieser Nacht, dass dieses Gebet gesprochen wurde.
Dann kümmerte sich die Sera wieder um die anderen Verwundeten. Auch wenn sie nicht über die Magie der Heilung verfügte, tat sie mit feuchten Tüchern und Verbänden, was ihr möglich war.
Als die Sonne aufging, lagen vor dem Gasthof auf dem noch immer festlich geschmückten Marktplatz mehr als zwei Dutzend Tote in zwei Reihen aufgebahrt, während aus den umliegenden Häusern, in denen die Verwundeten versorgt wurden, weiterhin Schreie zu hören waren.
Garret war aus dem Gasthaus herausgetreten und ließ seinen Blick über die Reihen der Toten schweifen. Dann setzte er sich
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