Die Krone von Lytar
bestätigte Argor, der sich zu Tarik an die Tür gestellt hatte. »Ich glaube, es ist dein alter Freund, Garret.«
Garret griff wortlos seinen Bogen, der an der Wand lehnte, zog ihn aus der ledernen Umhüllung und spannte ihn mit einer geübten Bewegung. Dann nahm er seinen Köcher und trat selbst an die Tür. Schweigend machten ihm Argor und Tarik Platz.
»Ja, das ist er. Bei Licht sieht er noch hässlicher aus als bei Nacht!«
»Was hält er da in den Pranken?«, fragte Argor. »Ich kann es nicht genau erkennen.«
»Es ist Randars Kopf«, antwortete Tarik tonlos.
Auch Tarlon trat nun zur Tür und sah über Garrets Schulter hinweg nach draußen. Der Wolfsmensch stand am Rand der Lichtung. Er war gut dreieinhalb Schritt groß und hatte ein schmutzig weißes Fell. In seiner entstellten Fratze war noch gerade so viel Menschliches zu erahnen, dass Tarlon bei dem Anblick beinahe schlecht wurde. Damit nicht genug, besaß das Monster drei Arme, von denen zwei mächtig und behaart waren und in grauenerregenden, blutverschmierten Pranken endeten, während ein dritter, rosa wie ein Säuglingsarm, aus der linken Brust des Monsters hervorwuchs und gerade blind in der Luft herumtastete.
»Götter!«, hauchte Tarlon.
Das Monster war nicht allein. Gut ein Dutzend weiterer verdrehter Gestalten hatte sich um ihn herumgruppiert, jede eine verdorbene und widernatürliche Mischung aus Mensch und Tier, eine ekelerregender als die andere.
Noch hatten sie die Lichtung nicht betreten, doch auf einmal gab der Anführer ein Geräusch von sich, das einem bellenden Lachen glich. Dann holte er aus und schleuderte ihnen den Kopf in hohem Bogen entgegen. Das makabere Geschoss überwand die gut dreißig Schritt Entfernung mühelos und schlug mit einem Klatschen direkt neben der Tür an die Turmwand. Tank fluchte und wischte sich das Blut seines Kameraden aus dem Gesicht.
»Ich kriege das Schwein«, knirschte er mit zusammengepressten Zähnen und hob seine Armbrust. Augenblicklich gingen die grässlichen Gestalten in Deckung. Nur das heulende Lachen des Anführers war noch zu hören und trieb ihnen allen einen Schauer über den Rücken.
»Mist!«, fluchte Tarik.
»Tretet zur Seite, Freund«, bat Garret leise und hob seinen Bogen.
»Worauf willst du schießen? Ich kann niemanden mehr sehen …«
»Ich habe mir die Position des einen gemerkt«, erwiderte Garret. Ohne seinen Blick von der Stelle am Waldrand zu nehmen, legte er einen Pfeil auf, atmete tief durch und zog dann den Bogen bis an sein Ohr aus.
Für einen endlos erscheinenden Moment verharrte Garret in dieser Haltung, dann ließ er den Pfeil fliegen, und die Sehne klang mit einem satten Ton nach, als wäre eine große Harfe angeschlagen worden.
Man konnte dem Pfeil kaum mit den Augen folgen. Er schlug so hart in das Gebüsch ein, dass die Kreatur beim Aufprall nach hinten aus der Deckung herausgeschleudert wurde und dann reglos mit dem Pfeil inmitten seiner Stirn liegen blieb.
Das Geheul verstummte schlagartig. Hier und da bewegten sich noch Blätter, als die Monster ihre Verstecke wechselten, aber dann war es wieder still.
»Götter!«, hauchte Rabea ehrfurchtsvoll, und Tarik fragte leise: »Schießt ihr alle so?« Garret schüttelte den Kopf. »Mein Vater ist besser.« Er hielt nach neuen Zielen Ausschau, aber es rührte sich nichts.
»Garret ist der beste Schütze unter uns«, erklärte Tarlon. »Doch die meisten von uns vermögen die Münze im ersten Durchgang zu treffen.«
»Was bedeutet das?«, erkundigte sich Rabea und musterte Garret interessiert.
»Es bedeutet, dass sie eine alte Tradition aufrechterhalten«, erklärte Knorre vom Treppenaufgang her. »Am Mittsommerfest schießt ein jeder von ihnen auf eine goldene Münze, die in hundert Schritt Entfernung an einen Pfahl genagelt ist. Trifft man sie, kann man sie behalten.«
»Hundert Schritt?«, wiederholte Tarik nachdenklich. Er sah zu Hendriks hinüber. »Ich sage dir doch, wir brauchen mehr Bogenschützen.«
»Und ich kann dir inzwischen nur zustimmen«, antwortete Hendriks vom Sofa her. Er hatte die blutverschmierte Rüstung seines Kämpfers in der Hand und machte gerade Elyra Platz, die vorsichtig das Wams des Mannes aufschnitt und einen unterdrückten Laut von sich gab, als sie die freigelegte Wunde erblickte. »Ist er noch zu retten?«, fragte Hendriks leise.
Elyra sah voller Mitleid auf den Mann hinunter, der sie ängstlich anstarrte. »Ich weiß es nicht«, brachte sie schließlich hervor. »Das
Weitere Kostenlose Bücher