Die Krone von Lytar
Gebäude herantraten.
»Der Schrein ist entweiht worden durch das, was hier geschah«, berichtete Knorre leise. »Aber seht selbst …« Er drückte mit der Schulter gegen die schwere bronzene Eingangstür, die sich knirschend und quietschend öffnete.
Das Innere des kleinen Gebäudes war schwach erleuchtet. Lichtstrahlen fielen schräg durch die Kuppel ein, und ein Trick der Magie oder der alten Baukunst ließ es so erscheinen, als ob der Stern, den sie von außen gesehen hatten, nun im Firmament der Kuppelwölbung schweben würde.
Der Zahn der Zeit hatte an der geschützten Halle nur wenig genagt, sodass die Spuren des Unheils noch nicht vollständig verwischt waren. Skelette lagen so im Raum verteilt, wie sie einst gefallen waren. Man konnte klar erkennen, was sich hier abgespielt hatte. Eine Truppe gepanzerter Soldaten war eingedrungen und hatte die Priesterinnen erschlagen, doch nicht ohne auf Gegenwehr zu treffen. Ein schwarz glasierter Fleck, gut vier Schritt im Durchmesser, zeigte an, wo Magie gewirkt hatte. Verkohlte und ausgeglühte Rüstungsteile bezeugten, dass dabei zumindest ein Teil der Angreifer sein Leben gelassen hatte.
»Den Legenden nach wurde an diesem Ort die letzte Priesterin getötet«, erklärte Knorre leise. »In dem Moment, in dem sie Mistral ihre Seele gab, nahm der Kataklysmus seinen Anfang.«
Elyra nickte, doch ihr Blick war auf die Statue einer jungen Frau gerichtet, die in der Mitte des Kuppelsaals stand.
Die Figur trug ein weites, fließendes Gewand und hatte die linke Hand ausgestreckt, über der ein kleiner goldener Stern zu schweben schien. Erst ein einziges Mal hatte sie bislang eine derart wundersame Statue gesehen, und zwar in der alten Akademie.
Doch die Frau, die diese Statue darstellte, schien deutlich jünger als diejenige im Brunnen, beinahe war sie noch ein Mädchen. Der Ausdruck in dem steinernen Gesicht war so unendlich traurig, dass Elyra Tränen in die Augen stiegen. Sie eilte zu dem kleinen Altar hinüber und kniete nieder, wobei sie sorgfältig darauf achtete, die alten Knochen, die noch Reste einer verwitterten Robe trugen, nicht zu berühren.
»Sie wussten nicht, was sie taten«, rief sie dann mit erstickter Stimme. »Verzeih ihnen, Herrin!«
»Und ob sie es wussten«, erwiderte Knorre entschieden und mit deutlich hörbarer Verachtung in der Stimme. »Sie alle kannten den Willen der Götter, nur meinten sie, ihn ignorieren zu können.«
Er sah die beiden anderen mit zusammengezogenen Augenbrauen an, dann blickte er hoch zur Statue und machte das Zeichen des Sterns vor seiner Brust. »Keine irdische Macht hätte Alt Lytar stürzen können, und so dachten sie, auch gegen den Zorn der Götter gefeit zu sein.«
Elyra hörte ihm schon gar nicht mehr zu, sondern hatte bereits ihren Kopf gesenkt und war tief ins Gebet versunken.
»Warum habt Ihr uns hierher geführt?«, erkundigte sich Argor leise, während sein Blick umherschweifte und hier und da an den Spuren der alten Schandtaten hängen blieb. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm dieser Ort nicht behagte.
»Weil wir hier etwas finden können, was wir brauchen«, beschied Knorre. »Ich kenne diesen Ort und habe ihn sogar schon untersucht. Nur gab es zuvor keinen Anlass, etwas mitzunehmen und so die Grabesruhe zu stören.« Er begab sich hinter den Altar, und Argor folgte ihm.
»Dieser hier hat etwas, das ich brauche«, sagte Knorre dann und wies auf ein Skelett, das zusammengesunken an der Wand lehnte und dessen Schädel von einem Schwertstreich getroffen worden war. Das Opfer musste noch einen Moment gelebt haben, denn die Reste seines Mörders lagen verkrümmt und verschmort zu seinen Füßen und waren halb in den Steinboden eingeschmolzen.
Offensichtlich war das Opfer ein Magier gewesen, denn das Skelett hielt noch immer einen schwarzen, reich verzierten Kampfstab in den Händen. Die Muster, die Stahl und Gold über seine Oberfläche woben, ließen den Stab vor Argors Augen verschwimmen. Auch die tiefblaue, mit Gold – und Silberbrokat verzierte Robe sah aus, als habe der Zahn der Zeit sie nicht berührt.
Knorre kniete sich neben das Skelett und löste den Stab aus dem festen knöchernen Griff. Beinahe sah es so aus, als wolle der tote Magier nicht loslassen.
»Ich würde ihm gerne alles lassen«, flüsterte Knorre. »Aber diese Robe ist zugleich auch eine Rüstung, und er trägt noch mehr Dinge, die ich gebrauchen kann. Ich hoffe, seine Seele wird mir diesen Raub verzeihen.«
»Das wird sie
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