Die Krone von Lytar
aus Elyras Mund und Nase. Sie hustete, blieb jedoch weiterhin bewegungslos liegen. Immerhin atmete sie, wenn auch flach.
»Wir müssen ihr die Kleider ausziehen, damit sie sich nicht erkältet. Ich habe eine warme Decke, in die ich sie … Was ist los?«, fragte er Garret, der einen Schritt zurückgewichen war.
»Ich werde sie nicht ausziehen«, erklärte er entschieden. »Das würde sie mir übel nehmen.«
»Im Moment hat sie kein Mitspracherecht«, sagte Tarlon.
Aber Garret schüttelte heftig den Kopf. »Ich fasse sie nicht an.«
Tarlon sah zu Argor hinüber, der seinen Blick jedoch starr auf den Boden gerichtet hielt.
»Leute! Das ist doch nur Elyra.«
»Entkleide du sie. Ich schaue so lange weg«, meinte Garret abschließend.
Mit einem Seufzer machte sich Tarlon daran, Elyra die Stiefel und das Mieder aufzuschnüren. Erst im letzten Sommer war Vanessa krank geworden, und er hatte sich um seine Schwester kümmern müssen. Er konnte keinen großen Unterschied zwischen den beiden ausmachen. Was sollte also schon dabei sein, Elyra von ihren Kleidern zu befreien?
Dass es doch etwas anderes war als bei seiner Schwester, stellte er fest, als er Elyra nackt vor sich liegen sah.
Denn zum ersten Mal bemerkte er, dass sie zu einer jungen Frau heran geblüht und kein kleines Mädchen mehr war. Er ertappte sich dabei, ihren Körper zu betrachten, riss sich dann aber zusammen und hüllte sie in die warme Decke ein. Vorsichtig bettete er sie im Anschluss auf eine der Bänke. Sie schien in einen ungewöhnlich tiefen Schlaf gesunken zu sein und atmete immer noch flach, mit langen Pausen zwischen den einzelnen Atemzügen.
»Was machen wir jetzt?«, wollte Garret wissen, als sich nach einer ganzen Weile immer noch keine Veränderung zeigte.
»Ich werde Ariel holen gehen«, beschloss Argor und griff nach seinem Hammer.
»Bist du verrückt?«, fragte Garret. »Die Hunde werden dich zerfleischen.«
»Sie sind nicht mehr da. Das Heulen hat aufgehört.«
Garret war überrascht, aber es stimmte. Er hatte in all der Aufregung nur nicht darauf geachtet.
»Vielleicht lauern sie vor dem Eingang«, warf er ein.
»Wenn dem so ist, werde ich schön auf dieser Seite des Tores bleiben. Wenn aber nicht, werde ich zu Ariel laufen. Er kennt sich in der Kunst der Heilung aus.«
»Du wirst nicht gehen, Argor«, beschied ihm Garret. »Ich gehe.«
»Warum?«, warf der Zwerg ein.
»Weil ich schneller rennen und besser klettern kann als du. Und damit sind meine Chancen, lebend bei Ariel anzukommen, größer als die deinen.«
Argor grummelte etwas von unfair vor sich hin, begab sich dann aber zusammen mit Garret zum Tor, wo sie stehen blieben und lauschten, während sich Tarlon weiterhin um Elyra kümmerte.
Der Zwerg hatte recht, von der anderen Seite des Tores drangen keine Geräusche mehr zu ihnen. Vorsichtig öffneten sie das Tor einen Spalt weit und rollten es, nachdem von den Hunden keine Spur zu sehen war, überraschend einfach zur Seite. Das Lampenöl hatte sich bewährt.
Dunkel und unheimlich tat sich der Wald vor ihnen auf. Ariels Heim lag keine fünf Minuten entfernt, und Garret hoffte nur, dass er es im Dunkeln nicht verfehlen würde. Die Freunde nickten einander zu.
»Ich werde hier auf dich warten«, versicherte Argor Garret. Der nahm daraufhin seinen Bogen fester in die Hand, holte noch einmal tief Luft und rannte los.
Es war richtig so gewesen, dachte Argor, als er seinen Freund im Dunkel des Waldes verschwinden sah, denn so schnell wie Garret hätte er niemals laufen können.
Garret lief, so schnell er konnte, wobei ihn keine Sekunde lang das Gefühl verließ, als ob hinter jedem Baum und jedem Strauch einer der Hunde darauf warten würde, ihn zwischen seine Fänge zu bekommen. Sogar die Bäume schienen es auf ihn abgesehen zu haben, denn sie rissen mit ihren Ästen an seinen Kleidern oder versuchten, ihn mit ihren Wurzeln zu Fall zu bringen.
Einen Moment lang befürchtete Garret sogar, sich verlaufen zu haben, obwohl ihn sein Orientierungssinn sonst nie im Stich ließ. Doch dann sah er zu seiner großen Erleichterung den steinernen Türrahmen der elfischen Behausung vor sich auftauchen. Er stürmte in den Gang und in den Raum hinein, in dem ihn der Elf bereits mit schussbereitem Bogen erwartete.
»Ariel, entschuldigt, Ser Ariel, Elyra hat etwas im Depot berührt, nun ist sie bewusstlos und wacht nicht mehr auf. Wir brauchen Eure Hilfe, bitte, Ser!«, sprudelte es aus ihm heraus.
Die lederne Maske des Elfen
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