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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Handvoll Patronen eingesammelt, den haben sie zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
    LIAO YIWU:
    Eine sehr einsame Angelegenheit.
    LI HAI:
    Ich bin gar nicht dazu gekommen, mich einsam zu fühlen. Ich hatte genug Probleme mit dem Essen, dem Trinken, der Notdurft, dem Schlafen. Es war so wenig Platz, wir alle hingen da drin aufeinander wie die beschissenen Sardinen. Einer legte seine Arme um die Beine des anderen, da war keine Naht zwischen Fleisch und Fleisch, wie bei einem Feengewand; und dann der Gestank, Schweiß, Füße, Urin … nach ein paar Nächten hat man es überhaupt nicht mehr mitbekommen. Ich habe eigentlich einen Reinlichkeitsfimmel, im Wohnheim an der Uni habe ich kein Stäubchen auf meinem Bettzeug ertragen. Da war ich hier genau richtig, habe mich nicht nur in den stinkenden Haufen gezwängt, sondern musste auch noch die Arme um einen Felldieb legen, der vor Krätze nur so stand. Ich griff mir seinen Oberschenkel, und schlief so über hundert Tage und: Es passierte nichts. Alle sagten, diese konterrevolutionäre Haut ist aus einem besonderen Holz geschnitzt, alle hatten das Jucken, nur ich nicht. Doch fünf Tage später bekam ich jäh ein seltsames Jucken, das mich die halbe Nacht hochjagte, ich kratzte mich am ganzen Körper, und als es einmal angefangen hatte, war es nicht mehr in den Griff zu bekommen. Zuerst waren es kleine rote Punkte, dann kleine Pusteln, dann eine Kette von Wasserbläschen, schließlich war mein ganzer Leib eitrig, die Arme, der Unterleib, die Geschlechtsorgane, das Gesäß, alles war angeschwollen, ununterbrochen eine gelbe Flüssigkeit säftzend. Die Verwaltung gab keine Medikamente aus, das Auftragen von Zahncreme hat nichts geholfen, das Einzige war frische Luft und Sonne, um die Keime abzutöten. Manchmal waren die Wärter zu faul und es gab zwei Wochen lang keinen Hofgang, da hat die Krätze in der feuchten Umgebung grassiert, alle haben ununterbrochen um ihr Leben gekratzt, vom Kopf bis zu den Füßen, alle waren so voller Eiter, dass es nicht mehr schön war. Abwechselnd hat man sich auf dem Boden gewälzt, sich hemmungslos an der Wand gerieben, und wenn man es nicht mehr aushielt, hat man gequiekt wie ein Schwein. Wenn jemandem die Anklage verlesen wurde, umsummten die Fliegen den vorgeschobenen Kopf, selbst der Untersuchungspolizist konnte da nicht mehr zusehen und hielt sich die Nase zu, ging zur Gefängnisleitung und hat sich beschwert. Daraufhin fing in den Zellen ein Großreinemachen an, wir wurden zum Waschen hinausgejagt, und man hat Schwefelsalbe an uns ausgegeben.
    LIAO YIWU:
    Das müsste verhältnismäßig gut geholfen haben.
    LI HAI:
    Natürlich. Wenn man den ganzen Körper damit einreibt, und das zwei, drei Nächte abdeckt, dann schält sich eine Hautschicht ab. Alle fühlten sich erleichtert wie nach einer großen Katastrophe. Doch wo das Jucken aufgehört hatte, wurde der Hunger umso schlimmer: Im Knast gab es zweimal am Tag etwas zu essen, immer das Gleiche, zwei kleine Sesambrötchen und eine Kelle Weißkohlsuppe, eisern, und kein Fettauge weit und breit. Die Zeit zog sich hin, und die Därme wanden sich vor Hunger.
    LIAO YIWU:
    Kein bisschen Fleisch?
    LI HAI:
    Jede Woche gab es ein paar Krümel Fleisch, die waren unter die vergammelten Außenblätter des Kohls gemischt, die waren wertvoller als Diamanten, verdammt. Ich war zweihundertneun Tage dort und habe über dreißig Pfund abgenommen. 1990 begannen die Asienspiele, der Staat wollte alle »Unsicherheitsfaktoren« ausschließen, weshalb eine ganze Menge »gesellschaftlich unausgelastete Personen« zeitweise reinkamen. Es war so eng, dass kein Wasser zwischen uns durchgepasst hätte, den Wärtern war das noch nicht genug, sie haben weiter Leute hineingedrückt. Am Ende konnten die Neuen nur an der Wand stehen, und wenn einer den Kopf hängen ließ, dann galt das als schlafen. Ein Gewohnheitsverbrecher, der das zweite Mal in den Palast eingefahren war, meinte, bei großen Festlichkeiten in der Hauptstadt würden alle, die irgendeine Vorstrafe hätten, machen, dass sie wegkommen, nach außerhalb, sonst könnten sie jederzeit im Knast den Feierlichkeiten beiwohnen: »Verdammt, ich bin nicht schnell genug auf den Beinen, mich hat eine Streife entdeckt, die haben mich gegriffen und mir nichts, dir nichts eingebuchtet.«
    Die Leute von den Straßengangs waren im Knast sehr deprimiert, sie konnten sich nirgends aussprechen, also haben sie häufig die Leute provoziert, um sich mit

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