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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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dem alten buddhistischen Laienbruder nach Hause, und wir haben eine gute halbe Stunde geplaudert. Beim Abschied hätten wir eigentlich jeder seines Weges gehen müssen, aber sie ist stur geblieben, sie wolle zu mir und sich dort ein bisschen mit mir zusammensetzen.
    Ich sagte, bei mir ist nicht aufgeräumt, das nächste Mal.
    Sie sagte, heute liegt es doch auf dem Weg.
    Ich konnte das nicht ablehnen, vielleicht ist das eine Schwäche in meinem Charakter.
    Als wir bei mir waren, bat ich sie, Platz zu nehmen. Aber während ich in der Küche war, um Tee und etwas zu essen zu machen, hat sie zweimal meinen Bücherschrank gefilzt. Zwischen den alten Werksammlungen steckten ein paar Notizbücher, in denen die Auslandsspenden und Einzelheiten über ihre Verteilung festgehalten waren, allerdings in sehr unleserlicher Handschrift. Doch sie hat sie eigens herausgezogen, hat sie Seite für Seite studiert und begeistert hineingestarrt. Ich bin sofort auf sie los, um sie daran zu hindern, von wegen, das sind Privatangelegenheiten, die gehen dich nichts an. Sie kokettierte herum, oh, was denn für Privatangelegenheiten? Was darf ich denn da nicht sehen? Mir platzte sofort die Hutschnur, und ich brüllte sie an, sie solle mir meine Notizhefte wiedergeben! Aber sie hat weiter herumkokettiert wie ein naives Gör, hat die Sachen hinter ihrem Rücken versteckt und gesagt: Ich geb sie dir aber nicht! Gerade nicht! Ich bin ausgerastet, auf sie zu, hab sie mir über den Tisch gegriffen, sie festgehalten und mir die Notizhefte mit Gewalt genommen.
    LIAO YIWU:
    Wie alt war denn die Frau?
    LI HAI:
    Ungefähr so alt wie ich, vielleicht auch ein wenig älter. Sie war noch nicht lange wieder weg, als die Vereinigte Landesverteidigung [25] vor der Tür stand und behauptete, ihr seien Meldungen zugegangen, ich hätte eine verheiratete Frau belästigt und versucht, sie zu vergewaltigen. Darüber konnte man nicht diskutieren, erst haben sie mich in das Revier von Chaoyang gebracht, anschließend in das Untersuchungsgefängnis von Chaoyang. Sie haben mich eingeschüchtert, ich solle Einzelheiten über meine Beziehungen zu der Frau gestehen, aber ich hatte wirklich nichts zu gestehen. Da haben sie es schließlich aufgegeben. Anschließend wurde ich auf Schritt und Tritt zu Hause und draußen überwacht, meine Notizbücher, mein Tagebuch, meine Briefe, mein Adressbuch und eine Unmenge von Material der Demokratiebewegung, das sich in den letzten Jahren angesammelt hatte, ist in ihre Hände gefallen.
    Mit viel Tamtam wurde das Verfahren gegen mich eröffnet. Ich sagte, habt ihr mich nicht wegen »Landstreicherei« festgenommen? Wieso lässt sich diese Frau nicht sehen?
    Die Polizei sagte, Li Hai, verdammt, du drehst dich im Kreis, das hier hat mit »Landstreicherei« nichts zu tun. Sondern mit deinen Kontakten zu reaktionären Organisationen im Ausland, das alles liegt in allen Einzelheiten vor uns. Wie viele Lageberichte hast du denn geliefert? Was hast du dafür bekommen? Wie viel hast du weitergegeben? Gestehe! Wenn du gestehst, passiert dir nichts.
    Ich sagte, was für einen Unsinn treibt ihr da? Ich verstehe kein Wort. Ach, ich war wirklich dankbar für meine erste Knasterfahrung und was ich da alles durchgemacht hatte, außerdem wusste ich, wo es lang ging. Deshalb habe ich auf Teufel komm raus alles auf mich genommen. Denn wenn man da einmal den Mund aufmachte und eine lange Reihe von Namen und Adressen herauskam und zahllose Menschen da mit hineingezogen wurden, dann belastet einen das nur noch mehr. Die Polizisten haben mich oft angebrüllt, haben mich halbtot geprügelt, am Ende haben sie mir sogar Fesseln angelegt, wie sie für Hinrichtungskandidaten vorgesehen sind. Das ging ein ganzes Jahr so, ich war bis auf die Knochen abgemagert, war fast schon ein Gespenst.
    LIAO YIWU:
    Sie sind wirklich ein Kerl!
    LI HAI:
    Ich bin nichts als ein verzärtelter Büchermensch. Ich bin am 31 . Mai 1995 verhaftet worden, die Verhandlung begann am 30 . Mai 1996 . Da ich von Anfang an geschwiegen hatte, drohte mir der Richter, wenn ich nicht den Mund aufmachen würde, würde die Strafe mit Sicherheit höher ausfallen. Da ist mir der Kragen geplatzt, komm nur, habe ich gebrüllt, brich mir den Mund auf, da drin ist nichts! Gar nichts! Wenn es hochkommt, werde ich sterben, was ist denn am Sterben so schlimm? Mein Geist ist noch intakt, meine Kinder und Kindeskinder werden sich nicht für mich schämen müssen.
    Sofort war es im Gerichtssaal

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