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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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wieder gefesselt. Das waren unerträgliche Schmerzen, doch als ich stöhnte, sagten sie: Gesteh in allen Einzelheiten deine Beziehungen zu den reaktionären Organisationen im Ausland! Wer sind deine Verbindungsleute? Was ist dein Geheimzeichen?
    Anschließend haben sie meine Wohnung durchsucht. Meine Mietwohnung, auch meine Untergrundredaktion haben sie auf den Kopf gestellt. Sämtliche Akten für »Die Wahrheit über den 4 . Juni« samt einer Menge historischer Bilder, der Kamera und etwas Bargeld wurden als Beweismaterial beschlagnahmt. Das kam alles auf eine lange »Inventarliste«.
    Dann bin ich in ihre Untersuchungsabteilung gekommen, sie haben mich in den Raum Nummer sieben gedrückt. Ich war kein Mensch, ich war ein stinkendes Stück Menschenfleisch, zwischen ein paar Dutzend noch stärker stinkenden Stücken Menschenfleisch gepresst. Sich einfach nur hinzulegen war ein seltener Luxus, die meiste Zeit konnte man nur im Sitzen schlafen. Später dann sind einem die Beine geschwollen.
    LIAO YIWU:
    Gab es Hofgang?
    LIU SHUI:
    Die ganzen neun Monate nicht ein einziges Mal, man bekam am ganzen Körper einen weißen Flaum. Am Tag meiner Verurteilung hat mich, als ich vor die Tür trat, die Sonne so geschmerzt, dass ich die Augen nicht aufmachen konnte.
    LIAO YIWU:
    Was stand in der Urteilsbegründung?
    LIU SHUI:
    Eine Urteilsbegründung gab es nicht, es war die alte »Benachrichtigung über Umerziehungsmaßnahme durch Arbeit«. Wegen illegaler Publikationen drei Jahre.
    LIAO YIWU:
    Aber Ihr Buch war doch noch gar nicht veröffentlicht!
    LIU SHUI:
    Da gab es keine Debatte. Denn bei der Umerziehung durch Arbeit ist gesetzlich keine Berufung vorgesehen. Im März 1995 haben sie mich in das Umerziehungslager Qiongshan in der Provinz Hainan gebracht, wir haben jeden Tag geächzt und gestöhnt, aber diesmal ging es nicht um das Schleppen von Fäkalien, eine Gruppe von ein paar Gefangenen schleppte Steine. Wir hatten Blutblasen an Händen und Füßen, dann haben wir Schwielen bekommen, einmal habe ich mir die Hüfte verrenkt, einen Monat lang flachgelegen und mich nicht rühren können. Einmal bin ich direkt umgefallen. Verdammt, ich habe ernsthaft an Selbstmord gedacht, aber draußen gab es noch meine Frau, was sollte sie ohne mich machen?
    LIAO YIWU:
    Ihr Leben war ziemlich schwer.
    LIU SHUI:
    Bei meinem »zweiten Palastaufenthalt« habe ich ein Jahr und neun Monate gesessen, der Straferlass war ziemlich groß. Denn im Vergleich zum Norden ist es im Süden von den geographischen Bedingungen her viel feuchter, auch wenn es die gleiche Zwangsarbeit ist, aber man kann sich waschen und man kann sich vergleichsweise satt essen. Durch meine erste Gefängniserfahrung wusste ich, wie man im Kleinen nachgibt, um im Großen Erfolg zu haben, und den Wärtern keinen weiteren Ärger macht.
    Ich wurde am 25 . März 1996 entlassen. Ich bin nach Hause, um die Scheidung einzureichen, und habe da erst erfahren, dass meine Mutter gestorben war. Sie war noch keine sechzig! Das hatte meine Familie vor mir verheimlicht, damit ich nicht noch mehr Kummer haben sollte.
    Dass meine Familie zerstört war, war viel schlimmer. Zuerst habe ich im Süden, in Hainan gearbeitet, dann habe ich mich nach Shanghai durchgeschlagen. Ich habe ein bisschen Geld verdient, aber innerlich war ich leer. Ich dachte daran, ins Exil zu gehen, aber die Behörden haben mir keinen Pass ausgestellt. Ich bin an so vielen Busstationen und Kais gewesen, ohne zu wissen, wohin ich fahren sollte. Ich habe immer wieder gezaudert, am Ende habe ich beschlossen, in die Sonderwirtschaftszone Shenzhen zu fahren, weil sie nah bei Hongkong liegt, da konnte man wenigstens etwas mehr die Luft der Freiheit riechen. Ich wurde sehr schnell Reporter bei der
Verkehrszeitung Shenzhen,
mit meinem literarischen Hintergrund waren die Gesellschaftsnachrichten ein Klacks für mich. Nach und nach hielt man in der Chefetage der Zeitung große Stücke auf mich. Eigentlich hatte ich ein ganz gesichertes Leben, doch mein 4 . Juni-Komplex spukte in mir herum, bei Leuten wie uns, die wir diesen Stachel im Fleisch haben, keimen alte Gesinnungen immer wieder auf. Im März 1998 wurde der Nationale Volkskongress eröffnet, ich schrieb unter falschem Namen einen öffentlichen Brief, der über eine Verbindungsstelle der »Human Rights in China« in Hongkong in der
Chenbao
und der
Taiyangbao
veröffentlicht wurde und die Freilassung sämtlicher politischer Gefangener des 4 . Juni forderte.
    Gleich und gleich

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