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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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kommen. Am 12 . Mai 2006 , die Sonne brennt für eine kurze Zeit vom Himmel und wird dann wieder fahler. In einer leichten Brise finde ich Liu Shui. Er ist gerade aufgestanden, er sagt, er richte gerade sein Gepäck, er werde abreisen. Ich komme direkt zum Punkt, sage, wenn Sie nicht die Hoffnung hätten, dass ich über Sie schreibe, warum sollten Sie ohne ein Wort gehen wollen? Liu Shuis Augen röten sich. Ich komme sofort ins Zimmer und setze mich. Sie sind auch Schriftsteller, sage ich, Sie wissen, wie man erzählt.

    LIU SHUI:
    Ich stamme aus Lanzhou, mein Vater ist ein alter Revolutionär, er ist jetzt zweiundachtzig und liest noch jeden Tag die Parteizeitung. Ich war von Kind an rebellisch, war ihm ein Dorn im Auge, glücklicherweise war ich nicht schlecht in der Schule und habe die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Wirtschaft und Finanzen geschafft. In den achtziger Jahren waren alle ganz versessen auf Literatur, auf Politik, und ich war keine Ausnahme. Als Hu Yaobang starb und die Studentenbewegung von ’ 89 sich ausbreitete, ist auch bei uns in Lanzhou alles hochgekocht. Es gab Demonstrationen, die Motorräder der Öffentlichen Sicherheit wurden demoliert. Dann hatte ich das Gefühl, dass man in so einer abgelegenen Gegend nichts Besonderes zustande bringen konnte, also habe ich mich mit gut hundert Kommilitonen auf den beschwerlichen Weg in die Hauptstadt gemacht. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich nach Beijing fuhr, ich bin auch nirgendwo sonst hin, ich war die ganzen knapp vierzehn Tage nur auf dem Tiananmen.
    Es war schon Ende Mai, und es ging alles drunter und drüber. Die Stimmen der Menschen, die Lautsprecher, die Trillerpfeifen der Polizei, das Heulen der Rettungswagen, das hörte nie auf. Außer mir waren da noch drei Leute aus Hunan, die haben das Bild von Mao Zedong über dem Haupteingang zur Verbotenen Stadt mit faulen Eiern beworfen und sind auf der Stelle einkassiert worden; und da waren Liu Xiaobo, Hou Dejian, Zhou Duo, Gao Xin, die vier Edlen des Hungerstreiks und all die anderen; da war Yan Jiaqi, der die Eröffnung einer »Demokratischen Universität« auf dem Platz verkündete; da waren die internen Querelen unter den Studentenführern bis hin zu deren Verschleppung. Ich als Auswärtiger verfolgte das wie in einer Laterna Magica. Außer dem Schreien von Parolen, Demonstrieren, mit den Leuten, die unter freiem Himmel campierten, plaudern, wusste ich wirklich nicht, was tun.
    Am Abend des 3 . Juni war die Stimmung in den Straßen und Gassen ziemlich angespannt. Ich bin zu einem Beijinger Bekannten, habe mir ein Fahrrad geliehen und bin überall herumgefahren. Ich habe nichts gesehen als Panzer und gepanzerte Fahrzeuge der Ausnahmetruppen, die bildeten Kolonnen, von Muxidi über den Liubukou von Osten nach Westen zur Chang’an. An der Überführung am Liubukou hingen zwei völlig verbrannte Leichen. Mir standen die Haare zu Berge. Ich bin sofort zum Tiananmen zurück, in dem Redekrieg, der überall aufkam, zwischen Standhalten und Rückzug, haben wir paar Kommilitonen aus Lanzhou uns vom Tiananmen davongemacht, just bevor die Truppen ihn geräumt haben, Richtung Xidan, von woher weniger Schüsse kamen. Wir sind um unser Leben gerannt.
    LIAO YIWU:
    Sind Sie nicht auf blutige Zwischenfälle gestoßen?
    LIU SHUI:
    Wir sind ziemlich gerannt und haben uns an diesem Abend in einem heruntergekommenen Hotel versteckt und uns nicht sehen lassen, deshalb haben wir außer dem Lärm der Schüsse nichts mitbekommen. Am nächsten Tag in aller Frühe sind wir dann in den Zug und noch voller Entsetzen zurück nach Lanzhou und stickum wieder zurück in die Hochschule. Was keiner ahnen konnte, die Sicherheit der Hochschule war uns auf den Fersen und wollte, dass ich von Anfang bis Ende alles gestehe, was in Beijing los war.
    LIAO YIWU:
    Was haben Sie da gemacht?
    LIU SHUI:
    Normalerweise musste, wer während der Studentenunruhen in Beijing war, untersucht werden. Eine ganze Reihe von meinen Kollegen sind verhaftet worden. Ich selbst wurde ebenfalls am 6 . Juli verhaftet, war eine Nacht auf der Wache, dann haben sie mich ins Untersuchungsgefängnis geschickt. Ich wurde mehrfach verhört, das heißt befragt und geschlagen, dann ging es Rücken an Rücken, Hund beißt Hund, die Anklage wegen »konterrevolutionärer Aufwiegelung« wurde noch an Ort und Stelle erstellt. Für ein Arbeitslager hatte ich nicht die Qualifikation, aber ein Umerziehungslager war immer im Bereich des Möglichen.

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