Die Kugel und das Opium
den Schultern machten mit großem Getöse ihre Aufnahmen. Ich rief hastig nach diesem Wu, aber von nebenan kam schon längst kein Laut mehr. Eine Stimme rief, wir sind von der Antipornographie-Truppe, weisen Sie sich aus, schnell!
Ich fragte, warum ich das tun solle.
Sie sagten, Sie sind ein Freier.
Ich sagte, das bin ich nicht, ihr seid verdammte Ehrabschneider. Als die Kameras nicht hinsahen, bekam ich ein paar Ohrfeigen. Obwohl mir Blut aus dem Mundwinkel lief, habe ich sie weiter übel beschimpft. Abschaum, gemein, langweilig, was ist denn das für eine Regierung, verdammte Scheiße!
Es war im Grunde sinnlos herumzuspringen. Ich war in die Falle gegangen, ich hatte Pech gehabt. Auf diese Weise bin ich zum dritten Mal in ein Umerziehungslager gekommen, ein Jahr und neun Monate. Die vorigen beiden Male war ich ein waschechter Konterrevolutionär, ich hatte das Gesicht nicht verloren; diesmal war mein Ruf ruiniert.
LIAO YIWU:
Sie sind Literat, Sie können Texte schreiben, um das aufzuklären.
LIU SHUI:
Je mehr man daran rührt, umso schlimmer wird es, besser man schweigt.
LIAO YIWU:
Man darf nicht schweigen.
LIU SHUI:
Deshalb bin ich die tausend Meilen zu Ihnen gekommen.
LIAO YIWU:
Ich habe Ihre Geschichte bereits aufgenommen. Etwas Ähnliches ist einem Dichter aus Shanghai passiert, weil er im Ausland fortgesetzt in seinen Werken an den 4 . Juni erinnert hat, hat er den Zorn der Polizei auf sich gezogen, also haben sie ihm eine Falle gestellt und eine Prostituierte auf ihn angesetzt, die ihn wiederholt verführen sollte. Das Ende vom Lied war, er war kaum zur Tür herein, hatte den Gürtel noch nicht auf, da wurde er in flagranti »beim Ehebruch erwischt« und acht Monate in ein Umerziehungslager gesteckt.
LIU SHUI:
Aber ich hatte so etwas gar nicht vor.
LIAO YIWU:
Ein anderer Dichter aus Shanghai hat auf die Mahnungen der Polizei nichts gegeben und über einen längeren Zeitraum eine Untergrundzeitschrift herausgegeben, damit hat er sich ein Vergehen eingehandelt, das sie »gemeinschaftliches Betrachten von Sex- DVD s« nennen – drei Jahre Umerziehungslager.
LIU SHUI:
Ich kann hier nicht mehr atmen! Ich kann hier nicht mehr bleiben! Aber sie geben mir keinen Pass, ich kann nicht weg.
LIAO YIWU:
Sie könnten sich in Yunnan herumtreiben, in der Umgebung der Grenze, es sind nicht wenige aus der Grenzregion, die illegal über die Grenze gehen. Ich habe gehört, dass einem Reisegesellschaften ebenfalls einen befristeten »Passierschein« zum Verlassen des Landes ausstellen können. Haben Sie genug Geld?
LIU SHUI:
Aber wenn ich entdeckt werde, dann muss ich »zum vierten Mal in den Palast«.
Li Bifeng,
ein Dichter in hoffnungsloser Lage
Über Li Bifeng habe ich bereits in meinem dokumentarischen Buch
Für ein Lied und hundert Lieder
eine Menge Tinte verbraucht. Ich erinnere mich an eine Sommernacht 1993 , da haben wir open air im Innenhof des Gefängnisses einen uralten Revolutionsschinken gesehen, die Gefangenen sahen ihn mit großem Vergnügen, nur Li Bifeng und ich haben uns aus der Menge zurückgezogen, zu den Sternen hochgeschaut und über so große Fragen debattiert, ob das Leben im Universum grundsätzlich frei ist oder nicht. Li Bifeng sagte auf einmal, er habe ein sehr langes Gedicht geschrieben, über tausend Zeilen, ob ich Interesse hätte, ihm ein paar »Ratschläge« dazu zu geben? Ich nahm tief Luft und schüttelte hastig den Kopf.
Unter uns Leidensgenossen vom 4 . Juni hat Li Bifeng das hervorstechendste literarische Talent. Seine Arbeiten umfassen unter anderem Gedichte, Romane, Dramen, Philosophie, politische Kommentare und Aufrufe, aber ich habe nie eins von seinen Werken ganz gelesen. Denn sein Denken ist wie sein Gang, er schreitet zu schnell voran, manchmal macht er auch noch Sprünge, dadurch wird es schwer verständlich. Zum Beispiel war er erst ein paar Tage zum zweiten Mal in den Palast eingefahren, als er in einer Verhörpause in seiner schwarzen Zelle saß und überlegte, wer sich eine Waffe wie die Moskitos ausgedacht hat.
Er hatte wirklich etwas von einem alten griechischen Philosophen.
Wirklich berührt hat mich das folgende Gedicht, das Li Bifeng im Gefängnis geschrieben hat:
Der Winter kommt früh
Von unseren Bäumen fällt das Laub
Wir haben keine Nährstoffe mehr für sie
Im Schnee der Zeit gefriert so unser schwarzes Haar
Langsam werden die Strähnen weiß
Wie Brache reißen die Hände
Es ist Winter, wir wollen schlafen
Das Herz ist müde, das
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