Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
lesen so etwas vielleicht, ich habe es durchgekaut, vor lauter Angst, etwas zu übersehen. Damals, in dieser blutrünstigen Atmosphäre war es ganz egal, wie viel einer bekommen hatte, wenn er nur den Kopf behielt, dann Amitabha sei Dank! Die Kommunistische Partei bringt die Leute um, ohne mit der Wimper zu zucken. Reden wir nicht mehr davon!
    Mittlerweile war es stockfinster. Wu Wenjian warf mir einen Blick zu, wir standen auf und verabschiedeten uns. Ein nasser Wind kam auf, dass es uns schauderte, als wir vor die Tür traten. Dann sind wir schnell hinaus in das Gewirr der Gassen und in einen heruntergekommenen Laden irgendwo am Straßenrand, der sich selbst auf einem Schild als »Feuertopfburg Zum dummen Jungen« bezeichnete, das war eine Restaurantkette aus Chengdu. Wu Wenjian verabredete sich per Handy mit einem anderen Leidensgenossen namens Wang Lianhui, fragte ganz nebenbei nach den Brüdern Sun, und sein Gesprächspartner meinte, er komme auf der Stelle.
    Ich war freudig überrascht. Doch eine halbe Stunde später kam nur Wang Lianhui. Es macht nicht viel Sinn, die alten Geschichten aufzuwärmen, meinte er.
    Wir schwiegen. Anschließend bestellten wir einen Chili-Feuertopf und tranken. Wenn man ein paar Gläser Erguotou-Hirseschnaps im Bauch hat, wird einem schon wärmer ums Herz. Wang Lianhui war zu einem Interview bereit und hat von sich aus den Kontakt zu den Sun-Brüdern hergestellt. Er erfuhr, dass Sun Yanru Nachtschicht, also keine Zeit hatte und dass Sun Yancai Waren ausfuhr und erst später kommen konnte.
    Am Ende haben wir über sieben Stunden gewartet, aber von Sun Yancai kam immer noch kein Ton. In der Zwischenzeit haben wir ein paarmal angerufen – wenn er nicht gerade mit dem Wagen unterwegs war, hatte er einen Kühlschrank auf dem Buckel und keuchte die Treppen hoch:
    Ich bin im sechsten Stock in einer Ecke, es sind noch elf Stockwerke bis zur Wohnung des Kunden.
    Gibt es keinen Aufzug?
    Der ist kaputt. Scheiße, und das Ganze muss ich noch ein paarmal rennen.
    Der Chef des Restaurants hat uns mehrfach aufgefordert zu gehen, aber wir haben uns nicht von der Stelle gerührt. Da hat er gemeint, er werde Benutzungsgebühr verlangen, und hat alle anderen Lampen ausgemacht. Wir hatten jetzt zwei Flaschen Erguotou intus, wir waren betrunken, wurden wieder nüchtern, waren betrunken, wurden wieder nüchtern, Wu Wenjian war ein bisschen erkältet, ihm kam es hoch, sein purpurrot geschwollenes Gesicht wurde totenblass. Wang Lianhui klopfte gelangweilt auf den Schälchen herum. Draußen der Wind heulte und heulte, huhuhu, wie das leise Schluchzen der Geister von Justizopfern.
    Um Viertel nach zwei in der Nacht rief Sun Yancai schließlich zurück:
    Schaffe es nicht, habe noch zwei große Eisschränke auszuliefern, einen im Osten, einen im Westen der Stadt, die beiden Adressen, das sind zig Kilometer, das dauert, bis es hell wird, verdammte Maloche!
    Bist du denn nicht müde?
    Was soll ich denn machen, müde oder nicht, ich muss schließlich von irgendwas leben.
    Komm, der Herr Liao will ein paar Worte mit dir wechseln, er ist extra den ganzen Weg von Sichuan heraufgekommen, alles gar nicht so einfach.
    Gut, gut, tut mir leid, Herr Liao. Ach Gott, ich stehe mitten im Wind, hört ihr das …
    Das Gespräch wurde mit einem Krachen unterbrochen. Wir standen auf, wie von einer schweren Last befreit. Ein Glück, dass gegenüber ein schwarzes Taxi stand, Wu Wenjian ging rüber und handelte den Preis aus, sie einigten sich auf 180 Kuai. Drei ehemalige Gefängnisinsassen versicherten einander ihre Wertschätzung. Der Wind war eisig, der Regen bitter, jeder eilte seiner Zukunft entgegen, und keiner wusste, wann sie sich wieder begegnen würden.
     
    In dieser Nacht hatte ich einen Albtraum. Die Polizei war hinter mir her, in Scharen, fliehen, fliehen, fliehen, meine Arme wurden zu Flügeln, ich flog in den Himmel. Die Polizisten unten eröffneten das Feuer, ich wurde getroffen, stürzte ab und ergab mich ohne Gegenwehr. Die Polizisten rissen mir die Arme aus und schnitten mir mit einer Sichel den Kopf ab. Das Blutgespinst von Erinnerungen in meinem Kopf war mit einem Mal abgeschnitten, sie haben Nudeln daraus gemacht und es aufgegessen. Ich habe um mein Leben gekämpft, und als ich aus dem Traum aufwachte, klingelte das Telefon, ein Gespräch aus Übersee. Es war ein weiterer Zellennachbar von mir, am 4 . Juni erst 17  Jahre alt, ein Grünschnabel, der wegen »Aufwiegelung« drei Jahre bekommen hatte. Nach

Weitere Kostenlose Bücher