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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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ihm eine Tracht Prügel verabreicht und ihm vorgeworfen, »sich an der Krise des Staates zu bereichern«.
    Nicht wenige meinten, der Kaufhausbrand sei durch das Gewehrfeuer der Polizei ausgelöst worden. Sie hätten blutunterlaufene Augen gehabt und auf menschliche Körper gezielt und damit den Zorn der Volkes auf sich gezogen. Alle hätten daraufhin die Betonpfosten von der Straßeneinfassung herausgerissen und die Tür des Polizeireviers verbarrikadiert, damit die Polizeiwagen nicht mehr herauskonnten.
    LIAO YIWU:
    Die Leute in Chengdu sind echt der Hammer!
    LI BIFENG:
    Am 6 . Juni war Chengdu verkommen zu einem qualmenden Feldquartier, alles war längst vorbei, wir sieben, acht sind wie die geprügelten Hunde nach Yunnan geflohen, unter uns waren Arbeiter, Studenten und Journalisten. Ich habe mich in Kunming bei einem Kommilitonen versteckt, aber ich hatte noch nicht richtig wieder Luft geholt, als am 8 . Juni die landesweiten koordinierten Razzien losgingen. Alle möglichen Leute aus Shanghai, Beijing und Chengdu haben sich hierher geflüchtet, sich erneut gruppiert und sind dann weiter nach Xishuangbanna. In Jinghong angekommen, sind wir wieder mit Razzien konfrontiert gewesen, ein Großteil der Leute ist gefasst worden. Ich bin ihnen auch ins Netz gegangen und war eine Nacht im Untersuchungsgefängnis des Kreises Jinghong. Ich habe darauf insistiert, dass ich Journalist sei und das Leben in der Grenzregion kennenlernen wolle, um über die Menschen hier zu schreiben – mit dieser Geschichte habe ich mich herausgewunden. Nach meiner Freilassung habe ich mich wieder mit ein paar anderen zusammengetan, die glücklich entkommen waren, in einem Tempel haben wir einen Mönch als Führer angeheuert und mit dem heimlichen Grenzübertritt angefangen.
    Die Grenzsicherung ist relativ chaotisch, als wir unter Vorwänden über die Grenze sind, haben wir noch ein Gruppenfoto gemacht. Als wir dann in den Urwald hineinkamen, war unser Mönch im Nu verschwunden. Ich war schon immer gut zu Fuß, dazu noch die Lebensgefahr, also bin ich eine Weile wild im Dschungel herumgerannt und habe auch die anderen verloren. Ich habe Dutzende Male gerufen, aber es kam nie eine Antwort, also habe ich schlussendlich die Zähne zusammengebissen und mir einen Weg durch das Dickicht gehauen, in der Meinung, ich ginge nach Süden. Ich bin mindestens drei Tage und drei Nächte herumgeirrt und war kurz vor dem Kollaps …
    LIAO YIWU:
    Diesen Teil der Geschichte hast du mir im Gefängnis erzählt.
    LI BIFENG:
    Das hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich hatte mir immer vorgestellt, im Urwald lägen überall Giftschlangen auf der Lauer und wilde Tiere, deshalb hatte ich mir eine Machete gekauft, nachher war sie mir zu schwer, und ich habe sie weggeworfen. Als ich aus dem Dschungel heraus war, warf ich mich auf den Boden, ganz in der Nähe schimmerte verschwommen ein Dorf in der Sonne – ich war in Myanmar. Schlagartig brach ich in Tränen aus und bin einen Abhang hinuntergerutscht, bis ich mit dem Hinterteil auf ein Stück trockenen Schilfboden gekommen bin, da bin ich aufgestanden. Ich teilte das über mannshohe Schilf, es rauschte nur so, als ich weiterging, und nach ein paar hundert Metern tauchte auf einmal eine Weggabelung auf.
    Meine Intuition sagte mir, ich müsse nach rechts gehen, nach rechts wäre richtig, aber ich bin trotzdem, der Geier weiß warum, geradeaus gegangen. In meinem Kopf brummte es dauernd: »Nach rechts! Nach rechts!«, aber ich bin nicht umgekehrt – diese Situation, in der das Bewusstsein die Beine nicht lenken kann, habe ich schon oft geträumt. Bis das Dickicht immer dichter wird und ich keinen Schritt mehr machen kann. Ein Ast schlug mir von der Seite hinter die Brille und traf schmerzhaft das Augenlid. Der Schmerz schreckt mich auf, ich bleibe jäh stehen. Vage höre ich Stimmen, verstehe aber nichts, bis ich verstehe: »Keine Bewegung!« Mit diesen Worten bin ich auch schon umzingelt.
    Sieben, acht Leute etwa stehen mit dem Gewehr im Anschlag um mich herum: »Keine Bewegung!«, wieder diese beiden Worte. Unbewusst habe ich gerade meine Hände hochgenommen, als ich unvermittelt einen roten Schein auf mich zukommen sehe – das ist die Sonne, die über den schwarzen Mündungen glänzt! Ein Bellen, und meine Knie werden weich, die Seele schreckt aus ihrer Höhle heraus, und ich bekomme einen großen nassen Fleck in der Hose.
    Bis meine Seele in ihre Höhle zurückkehrt, stützen mich zwei Leute und

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