Die Kugel und das Opium
geredet wie ein Wasserfall, ein paar Stunden lang, und selbst, als ich heiser wurde, nichts getrunken. Daraufhin haben die Passanten einer nach dem anderen ihre Geldbeutel gezückt, und die Studenten hatten die Unterstützung der Leute, was ihre Moral sehr erhöht hat. Doch ich hatte mir wegen der öffentlichen Aufwiegelung das Unheil auf den Hals gezogen, das Amt für Öffentliche Sicherheit drohte: »Wir werden die Brille des Finanzamts aufsetzen!«
Ein paar Monate später, ich hatte längst vergessen, was ich da in meiner Rede gesagt hatte, aber die Polizei erinnerte sich noch, und außerdem hat sie daraus »Beweise« für meine Anklageschrift gemacht. Im Großen und Ganzen heißt es dort: »Ich bin kein Student, ich bin kein Arbeiter, ich bin, was Li Peng beliebt, eine ›Person ohne gesellschaftliche Anbindung‹, also einen Penner zu nennen, eine Minderheit in einer Minderheit, und diese kleine Minderheit, das sind die riesigen Volksmassen, die auf den Bodensatz der Gesellschaft heruntergedrückt werden.«
Um die Hintergründe meines Verbrechens herauszufinden, haben sie in der Anklageschrift noch eine Zeile aus einem Gedicht zitiert, das ich in der Volkszeitschrift
Traumgarten
veröffentlicht hatte: »Der Himmel ist dunkel/die Vulkane auf dem Mond sind heut Nacht nicht zu sehen«. Der Untersuchungsrichter war ein richtiger Analphabet und hat mich doch tatsächlich gefragt, was das heißen solle: »Der Himmel ist dunkel«. Ich habe geantwortet: »Der Himmel ist dunkel heißt, der Himmel ist dunkel, nichts weiter.« Er hat auf den Tisch geschlagen und getobt: »Ausreden! Es ist doch ganz klar, dass damit eine Dunkelheit gemeint ist, die das System des Sozialismus verleumdet.« Ich sagte: »Ich bin hochgradig kurzsichtig, wenn ich schwarz sehe, schreibe ich schwarz …«
Später dann hat Xie Zongyuan, der Chefredakteur der Literaturzeitschrift
Jiannan wenxue,
in einem »Expertengutachten« »der Himmel ist dunkel« zu einem im wahrsten Sinne des Wortes reaktionären Gedicht und damit zu einem unumstößlichen Beweis gemacht.
LIAO YIWU:
Bist du ihnen noch an Ort und Stelle ins Netz gegangen?
LI BIFENG:
Ich habe mehrfach Wind bekommen und bin abgehauen, direkt nach Chengdu, um bei der Revolution Schutz zu suchen. Am Platz in der Renminnan-Straße haben wir ein paar hundert Leute zusammengetrommelt und die Gründung einer Selbstverwaltung der Jugend von Chengdu verkündet, ich bin mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt worden.
LIAO YIWU:
Welche Aktivitäten gab es?
LI BIFENG:
Kontakt mit einer Vortragsgruppe der Universität Beijing für den Süden; Mobilisierung der Studenten der Sichuan-Industrieakademie in der westlichen Vorstadt zur Teilnahme an der großen weltweiten Demonstration von Chinesen am 30 . Mai; außerdem der Versuch, eine Todesschwadron für die Unterstützung von Beijing zu organisieren. Gestützt auf meine dichterische Intuition habe ich die »Rede des letzten Tages« veröffentlicht, habe hinausgeschrien: »Der Juni der Demokratie wird ein schwarzer Juni!«, was mir die Antipathie von einer Reihe von Hochschulstudenten eingetragen hat, die als Informanten zur Polizei gelaufen sind und mich als »Agenten der Taiwan-Fraktion« diffamiert haben …
LIAO YIWU:
Wie konntest du diesen »letzten Tag« ahnen?
LI BIFENG:
Mitten in der Nacht vom 28 . Mai habe ich zu Füßen der Mao Zedong-Statue geschlafen, da habe ich von sechs Leuten von der Öffentlichen Sicherheit geträumt, die hielten Polizeiknüppel in Händen und fragten mich wie böse Geister: »Was tust du?« Sie haben mich jäh geweckt; seltsamerweise habe ich sie am frühen Morgen des 4 . Juni im Traum wiedergesehen – zu Füßen der gleichen Mao-Statue, ich war noch gar nicht richtig wach und habe mit den Augen geblinzelt. Im Morgengrauen habe ich zunächst zwei Rettungswagen gesehen, etliches medizinisches Personal, dann ein paar Polizeiwagen, die mit Tatütata vor die Ehrentribüne rasten. Eine Stimme schrie: Säubert den Platz! Die paar dutzend Leute, die auf dem Platz waren, wurden abgeführt. Hehe, auf einmal waren da meine sechs Beamten von der Öffentlichen Sicherheit, die kamen die Stufen hoch, haben mich mit ihren Polizeiknüppeln gestoßen und gefragt: »Was tust du?« Mir ist vor Schreck der kalte Schweiß ausgebrochen, ich musste mich aufsetzen und antwortete: »Presse.« Daraufhin habe ich den Journalistenausweis, den ich mir besorgt hatte, gezückt. Die Beamten haben ihn von vorne bis hinten
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