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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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eine.«
    Sie sagte zweifelnd: »Wieso denn das? Die Verkaufspapiere auf dem Markt gibt es immer in doppelter Ausführung, wenn Probleme auftreten, kann ich Sie besser finden.«
    Der Abteilungsleiter sagte mit ernstem Ton und strenger Miene: »Eine Hausdurchsuchung ist kein Schaufensterbummel, für alle beschlagnahmten Indizien werden wir Ihnen eine Quittung ausstellen, ganz legal.«
    Song Yu wollte den Wortwechsel fortsetzen, aber ich habe sie schleunigst daran gehindert und schnell zur Arbeit geschickt. Als sie an der Tür war, hat sie noch zwei Erkältungstabletten auf den Tisch gelegt und mich ermahnt, nicht zu vergessen, sie einzunehmen. Der Polizist bemerkte über sie: »So jung und schon so heftig drauf!«
    Nachmittags um kurz nach fünf bin ich wieder freigelassen worden, weil sie die Beweise, die sie brauchten, nicht hatten beschaffen können. Song Yu sagte, sie hätte sich darauf vorbereitet, als Familienangehörige und völlig legal am nächsten Morgen bei dem auf der Vorladung angegebenen »Revier Wuqin« ganz nach dem Gesetz nach mir zu verlangen. Ein paar Tage später haben wir einige große Fragen diskutiert, mit denen wir sonst nicht die Zeit fanden, uns zu befassen, zum Beispiel: Was soll man in diesem Leben machen? Sollte man wie Kang Zhengguo, Liu Xiaobo, Wang Lixiong und all die anderen Freunde Ideale und hohe Ziele verfolgen und Wissen anhäufen, oder war ich bloß ein indiskutabler Boddhisattva des Essens und Trinkens und so weiter und so fort? Ich leugnete das mit allen Mitteln, woraufhin die Gebieterin meines Hauses, die einmal Studentenkader gewesen war, vor dem Bett den Schluss kundtat, zu dem sie reifliche Überlegungen geführt hatten: »Leute wie du sind für die Ehe nicht geeignet.«
    LIAO YIWU:
    Sie haben darüber sogar gelacht.
    LAO WEI:
    Das Leben ist so bitter, ich lache nicht mehr oft, das Los einer Bittermelone ist besiegelt. Und selbst wenn das lachende Gesicht nur eine Maske ist, so muss man sie doch hin und wieder aufsetzen. Als ich klein war, haben Sie und ich oft dabeigestanden, wenn an Händen und Füßen gefesselte Todeskandidaten durch die Straßen geführt wurden, die Massenszenen, und nach einer Weile war alles vergessen. Aber wenn so ein armer Teufel unter dem Messer auf einmal lächelte, das blieb oft haften und war für lange Zeit Gesprächsthema bei den kleinen Leuten in ihren Gassen. Deshalb sollten sie doch das Haus auf den Kopf stellen, acht Beamte in Zivil, die in zwei Gruppen das Haus stürmten, doch ich musste lachen. Sie haben den Computer weggeschleppt, in ihm waren Manuskripte von ein paar Millionen Schriftzeichen, doch bei mir dachte ich, verdammt, ob ich das nun will oder nicht, ich bin Chinas einziger Literat, der speziell für die Polizei schreibt, bei den wiederholten Hausdurchsuchungen haben sie alles in die Hände bekommen, was ich seit 1980 geschrieben habe, einschließlich der Liebesbriefe, der Notizen, der Preisurkunden, der alten Fotos, sogar die stinkenden, misslungenen Sachen, die sie aus dem Korb für das Toilettenpapier herausgekramt haben [31] . Dieses Mal hatten sie die Ehre, die ersten Leser der dritten Überarbeitung des Romans »Überleben« zu werden, außerdem haben sie den schwierigen Prozess der Manuskriptwerdung von »Fräulein Hallo« und »Justizirrtum« dekodiert, haben »Tote Stadt«, »Requiem« und die »Liebeslieder aus dem Gulag« wieder aufgewärmt und konnten darüber hinaus systematisch die Kritiken und die Nachrichten, die miteinander zu tun haben, studieren.
    In einer Wohnung mit gut sechzig Quadratmetern dauert eine akribische Durchsuchung über drei Stunden, der Balkon, das Wohnzimmer, das Arbeitszimmer, das Schlafzimmer und die nicht wenigen, hygienisch gesprochen, toten Winkel – all das muss penibel durchkämmt werden. Zwei von den Kerlen sind für lange Zeit im Arbeitszimmer verschwunden, boshaft, wie ich bin, bin ich hin und habe sie durch meine Bücherregale geführt: »Das Foto zeigt meine ältere Schwester, sie ist 1988 bei einem Autounfall ums Leben gekommen.« Ich beendete höflich die Führung und bekam den Rahmen und andere Fotos ausgehändigt: »Das brauchen wir nicht«, erklärte der Kleine sanft, außerdem fügte er hinzu: »Ihre Schwester war wirklich sehr hübsch.«
    Ich nutzte das und erklärte ihnen mit Nachdruck die Fotos, die Kalligraphien und Gemälde, die Flöten und einen Teil der berühmten Bücher und nahm damit nolens volens den Zivilbeamten die Sicht, aber ihren wachsamen Augen entging nicht

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