Die Kugel und das Opium
die Gesamtausgabe der sensiblen, weil illegalen und im Ausland erscheinenden Zeitschrift
Qingxiang,
insgesamt neun Hefte, ein Heft von
Jintian
und einiges an schriftlichem Material von Xu Wenli, Wei Jingsheng, Liu Binyan und von der Demokratischen Partei Chinas. Ein Buch von Huang Xiang nahmen sie heraus, blätterten darin und stellten es wieder hin; keine Ahnung, aus welcher Schublade sie das »Schreiben an alle Landsleute« gezogen haben, das war schon lange her, ich hatte vergessen, wo das herkam. »Ist Ihnen das zugeschickt worden?«, fragten sie aufgeregt und: »Wo ist der Umschlag?«
Seit Jahren schon hatte ich das Interesse daran verloren, Briefumschläge aufzuheben, mir tat es echt leid für unsere Volksregierung. Also habe ich wohl oder übel unter dauernden Lobreden mein tiefes Bedauern ausgedrückt, sagte, die Zeiten hätten sich geändert, die Genossen von der Polizei hätten ihr traditionell teuflisches Gesicht verändert, sie seien heute umgänglich, sorgfältig und voller Geduld, das könne man an den Hausdurchsuchungen ablesen; ich habe einen großen Packen illegalen Materials dem Tiger in den Rachen gestopft, in der Hoffnung, in seinen Zähnen würden ein paar Reste übrig bleiben. Als sie vorschlugen, sie könnten die Papiere, die wild auf dem ganzen Boden herumflogen, für mich aufräumen, sagte ich immer nur »danke, danke«, hatte aber in Wirklichkeit nur Sorge, dass sie noch etwas herauskramen könnten. Ich habe sogar ziemlich dick aufgetragen, von wegen, so ein Polizist, das sei doch ganz etwas anderes als so ein Schädling wie ich, so ein Mann sei viel familiengerechter, wenn die Genossen zu Hause die gleiche Einfühlsamkeit walten lassen würden wie bei der Arbeit, dann würde es auf der Welt wohl keine Frau geben, die ihnen nicht gewogen wäre.
Die Polizisten waren von meinem Auftritt wohl angetan und haben mir, bevor sie die Wohnung verließen, noch eingeschärft, nur ja die Tür gut zu verschließen, wegen der Diebe. Ich nickte und schlug vor: Am besten wäre es, wenn man einen wilden Hund wie mich, der weder sein Land noch seine Familie liebt, auf Ausländer losließe, die könnte ich beißen.
Die guten Kerle sind mit mir wie eine Kavalkade die sechs Stockwerke heruntergepoltert und haben ihre drei Polizeiwagen bestiegen; alle Augen des Bezirks waren auf uns gerichtet. Ein Glück, dass es just in diesen Jahren sehr viele Strafverfahren gab, die Menschen wunderten sich über gar nichts mehr. Als wir auf der Wache ankamen, schlug die Polizei zwei Wege ein: Untersuchung des menschlichen und des Computergehirns – mit dem Resultat, dass das Computergehirn mehr Schwierigkeiten machte als das menschliche. Von allen Seiten wurden Spezialisten herangezogen zur Diagnose und zur Feststellung des Tatbestands. Zeitweilig war ich verdächtig, das Buch auf der Netzseite »Chinesische Justizirrtümer« fortzusetzen und reihenweise politische Unterschriften geleistet zu haben. Dann war die Frage, wie viele Homepages eigentlich meine Artikel oder Unterschriften weitergeben würden – aber woher sollte ich das wissen, als Online-Analphabet?
LIAO YIWU:
Gerade haben Sie gesagt, die Zeiten hätten sich geändert und die traditionellen Methoden der Hausdurchsuchung auch, stimmt das?
LAO WEI:
Das wäre eine längere Geschichte, über die Fälle von »Beschlagnahme von Familienvermögen« ist in den alten Büchern massenhaft berichtet worden, darüber müssen wir nicht mehr sprechen, über die neuere Zeitgeschichte auch nicht, nur über die letzten Jahrzehnte der »neuen Gesellschaft« haben während Hunderter größerer und kleinerer politischer Kampagnen vermutlich achtzig Prozent der Haushalte unseres Landes Durchsuchungen und Beschlagnahmungen erlebt. Der Schriftsteller Ba Jin hat einmal öffentlich den Vorschlag gemacht, ein »Museum der Kulturrevolution« zu errichten. Ich finde, der Rahmen eines solchen Museums ist zu eng gesteckt, es wird der Tag kommen, an dem sich auf diesem Stück Erde ein Museum der politischen Kampagnen erheben wird, in dem die Geschichte der Revolution nur einen Flügel ausmachen wird. Und die Menschen werden eine »Gedenksäule für Propagandaverbrecher« errichten und damit die »Gedenksäule für die Helden des Volkes« auf dem Platz des Himmlischen Friedens ersetzen.
Auf dieser neuen Gedenksäule, die in der Zukunft das Licht der Welt erblicken wird, werden die Namen von Abermillionen Propagandaverbrechern eingegraben sein, jeder Name eingefasst in ein
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