Die Kugel und das Opium
Gruppe von Freunden aus der Demokratiebewegung hat jeden Tag bei mir gegessen, manch einer hat sich einfach unter dem Vorwand, »einen Plan aushecken zu wollen«, in meinem Restaurant eingenistet – bei der geringsten Störung machte die Polizei Ärger. Ich erinnere mich, an dem Tag, an dem ich zugemacht habe bist du und der alte Wang vorbeigekommen, um umsonst etwas zu essen zu bekommen. Die Kunden bestellten Fisch, aber ich habe ihnen keinen gegeben, weil ich den letzten für meine Leidensgenossen aufheben wollte.
LIAO YIWU:
Nach meinem Eindruck bist du aus dem Nichts gekommen und wieder im Nichts verschwunden.
LI BIFENG:
Leute wie wir fühlen sich nirgends sicher und sind in ihren Träumen immer auf der Flucht.
LIAO YIWU:
Wie oft warst du in einem Jahr bei dir zu Hause?
LI BIFENG:
Fast überhaupt nicht, wenn ich ein bisschen länger zu Hause blieb, das waren meine Frau und mein Junge gar nicht gewöhnt.
LIAO YIWU:
Das ist doch kein Leben.
LI BIFENG:
Nein, das ist kein Leben, man ist ein Gefangener der Demokratie.
LIAO YIWU:
Am Ende bist du dann wieder im Käfig gelandet.
LI BIFENG:
Parallel zu meiner literarischen Arbeit habe ich auch ein paar Untersuchungen unter der Bevölkerung gemacht. Die alten staatlichen Betriebe im Distrikt Mianyang waren in einem erbärmlichen Zustand. Die Seidenfabrik von Mianyang stand kurz vor der Schließung, aber der Leiter der Fabrik taugte nichts und hat doch tatsächlich mit dem gesamten Kapital für die Arbeiterwohnungen an der Börse in Chengdu spekuliert; er hat alles verloren und war völlig ruiniert. Diesmal sind die Leute wütend geworden. Als Unruhe aufkam, hat jemand an das Schwarze Brett der Firma eine Nachricht gehängt: »Bürgermeister Feng wird heute vorbeikommen und uns erklären, wovon wir in Zukunft leben sollen.«
Die Arbeiter warteten geduldig bis nach zehn Uhr am Vormittag, aber kein Bürgermeister weit und breit! Da ist die Volksseele hochgekocht; gut viertausend Leute strömten brüllend aus den Fabriktoren und verstopften die Chuanshan-Autostraße. Anschließend hat das Ganze immer weiter um sich gegriffen, die Angestellten und Arbeiter der Spinnerei und ein paar anderer staatlicher Unternehmen sind ebenfalls Parolen rufend ihren Kollegen zu Hilfe geeilt. Gut zehntausend Leute saßen in der sengenden Sonne auf der Straße, der Verkehr kam für ein paar Stunden zum Erliegen. Natürlich ist das Mittel, mit dem eine Diktatur gesellschaftliche Konflikte löst, Gewalt. Die Polizei rückte aus, und gut zweihundert Leute wurden festgenommen. Und das Fernsehen von Mianyang berichtete, für das Gebiet von Gaoxin bestehe eine Ausgangssperre.
Diese Sache ist ins Ausland kolportiert worden, hat die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gezogen, aber natürlich wurde von den Behörden alles dementiert. Am 16 . Juli 1997 brachte die
Mianyang ribao
ein Interview mit dem Leiter des städtischen Büros für Öffentliche Sicherheit, einem gewissen Ren, der das Ganze als »Tumulte« bezeichnete. Als ich das gelesen habe, ist mir der Kragen geplatzt, ich habe die ganze Nacht über einen »Appell« an die Internationale Arbeitsorganisation geschrieben, in dem ich verlangte, dass man diese »Tumulte« rehabilitiere. Den Artikel habe ich an die Human Rights in China in New York gefaxt, und sehr schnell kam eine kleine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen.
LIAO YIWU:
Und dann?
LI BIFENG:
Die gut zweihundert Verhafteten wurden auf freien Fuß gesetzt. Die Polizei ist vor Ärger fast ausgerastet, also wollten sie mich festnehmen.
LIAO YIWU:
Du bist dann ein gutes halbes Jahr untergetaucht?
LI BIFENG:
Erst habe ich mich bei einem Leidensgenossen in Chongqing ein paar Tage versteckt, dann kam Yang Wei, hat mich nach Kanton mitgenommen und hat alles für den Grenzübertritt vorbereitet. Aber der XXX von der Human Rights Watch hat am Telefon alles abgeblasen, in Hongkong sei die Lage augenblicklich sehr eng, wir könnten nicht hinüber. Resigniert sind wir wieder zurück und haben uns wieder im Grenzgebiet von Yunnan und Myanmar herumgedrückt, XXX hat noch einmal angerufen, wir müssten selbst einen Weg finden, wie wir über die Grenze kommen, im thailändischen Chiang Mai würde uns jemand in Empfang nehmen. Verdammt, was für ein Hin und Her.
LIAO YIWU:
Ich nehme an, die regionale Polizei hat sich nicht sonderlich viel Mühe gegeben, sonst wärt ihr ihnen längst ins Netz gegangen.
LI BIFENG:
Kann sein.
LIAO YIWU:
Warum seid ihr nicht ein
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