Die Kugel und das Opium
bisschen weiter geflohen?
LI BIFENG:
Ich war ständig auf so eine seltsame Art besorgt. Am 8 . März 1998 , ein dunkler Tag, bin ich heimlich nach Hause gekommen. Kaum war ich durch den Eingang des Finanzamtes, haben mich Leute entdeckt, aber ich bin sturheil weiter in den dritten Stock und dort in ein Zimmer hineingeplatzt. Meine Frau war wie vom Donner gerührt: »Was willst du denn hier?« Ich stotterte herum, machte kehrt und wollte wieder gehen, als mein Kleiner auf einmal meine Beine umklammerte und zu schreien anfing: »Ich will Papa!«
Das ging einem dann schon an die Nieren, denn das war der erste Satz, den der Kleine gesagt hat! Aber da war nichts zu machen, ich musste so herzlos sein, seine Hände losmachen und mit roten Augen gehen. Es war keine zehn Minuten her, dass ich das Finanzamt betreten hatte, doch als ich unten ankam, fingen meine Lider an zu flattern, ich bin sofort auf die Straße gelaufen, habe eine Fahrradrickscha gerufen, bin auf der Hauptstraße in ein Taxi gestiegen und, ohne über den Preis zu verhandeln, ab Richtung Chengdu.
Keine hundert Meter weiter war eine Mautstelle, wo ein gutes Dutzend bewaffneter Polizisten mit Gewehren auf mich warteten. Das Taxi war noch nicht in die Mautstation eingefahren, als es von zwei Polizeiautos in die Zange genommen wurde. Ich habe gerade den Kopf rausgestreckt, wurde herausgezogen, die Handschellen klackten – ich war verhaftet.
LIAO YIWU:
Bist du wieder mit der Beute geschnappt worden?
LI BIFENG:
Ja, ich bin ihnen gut zehnmal ins Netz gegangen, und jedes Mal mit der Beute, sozusagen. Anschließend habe ich die Nacht im Gästehaus Nr. 208 in einem Vorort verbracht, dann wurde ich in das Untersuchungsgefängnis von Jiangyou-Stadt verlegt. Da es in diesem Fall nur um mich ging, habe ich »ein volles Geständnis abgelegt«. Aber diesmal haben die zuständigen Behörden mich keines politischen Vergehens angeklagt, sondern aus allen Ecken irgendwelche Zeugen herangezogen, die mir etwas anhängten. »Wegen arglistigen Wirtschaftsbetrugs« haben sie mir sieben Jahre gegeben. Das war die gleiche Methode wie der »Fall von Unzucht mit Prostituierten« bei Liu Shui und dem »Heroin« bei Yu Wanping.
LIAO YIWU:
Wohin haben sie dich nach dem Urteil gebracht?
LI BIFENG:
Wie gehabt.
LIAO YIWU:
In das Provinzgefängnis Nr. 3 ?
LI BIFENG:
Ja, dort war ich ein paar Monate. Am 17 . Januar wurde ich in das Ya’an-Gefängnis im Westen von Sichuan verlegt, das war eine Entfernung von fast tausend Kilometern. Sie haben mich fertiggemacht, ich hatte Blut im Urin, aus meinen Fingern tropfte Blut, ich sah aus wie ein Toter. Eines Tages dann, ich war gerade vom Essen aufgestanden, bin ich auf einmal umgefallen. Ich war ein paar Monate im Krankenhaus und machte mir ernsthaft Sorgen, da nicht mehr lebendig herauszukommen. In dieser Zeit hat auch meine Frau die Scheidung eingereicht, der ich, wegen des Jungen, zugestimmt habe.
Es hat bis 2003 gedauert, bis ich auf dem Gefängnisgelände einen Bekannten getroffen habe, wir haben zehn Minuten miteinander geplaudert, wurden aber verpfiffen. Am nächsten Tag bin ich in aller Frühe in das Mingshan-Gefängnis zwanzig Kilometer weiter verlegt worden.
LIAO YIWU:
Wie war es da?
LI BIFENG:
Im Großen und Ganze waren die Kriminellen dort wie im Gefängnis Nr. 3 auch, sie stellten Bauteile für Maschinen her, der Druck bei der Arbeit war groß, es war entsetzlich. Aber ich war die meiste Zeit krank und war nahe an der Entlassung, als es durch bessere Ernährung und etwas Training besser wurde. Ich habe Gedichte geschrieben, Romane, Theaterstücke, ein paar Millionen Schriftzeichen, den größten Teil haben sie mir beschlagnahmt, aber ich habe vor, einen Teil davon aus dem Gedächtnis neu zu schreiben.
LIAO YIWU:
Das habe ich am eigenen Leib erfahren, das ist eine sehr schwierige Sache, dieses Noch-einmal-Schreiben.
LI BIFENG:
Abhauen, sitzen; sitzen, abhauen, hierhin und dorthin verlegt werden – das ist mein Leben. Ich schreibe andauernd das Zeichen »ming« für »Leben« und »Schicksal«, aber was ist das eigentlich? Mein Junge ist jetzt über neun Jahre alt, er braucht wirklich Geld, und er braucht die feste Liebe eines Vaters, aber ich habe nichts von alledem.
Das Amt für Öffentliche Ordnung hat mir eine Arbeit bei einer Versicherung zugeteilt: »Ist Ihre Stärke nicht Propaganda und Aufwiegelung? Nun, setzen Sie das in der richtigen Weise ein, gehen Sie von Haus zu Haus und verkaufen Sie den Leuten
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