Die Kugel und das Opium
der Bodenreform 1950 hätte Großvater, dieser Pechvogel, sich zu Tode geschuftet, um genug zu verdienen für vierzig Mu Land, damit kam er in die politische Linie und wurde von der Arbeitsgruppe und den Mitbewohnern im Dorf einhellig zum Grundbesitzer gekürt. Doch sein Bruder, der aus demselben Stall kam und das gleiche Blut in den Adern hatte, wurde, weil er das Familienvermögen mit Opium durchgebracht hatte, zu einem glorreichen armen Bauern erklärt. Und hat dann noch an der Spitze der Leute im Haus seines älteren Bruders eine Hausdurchsuchung mit Beschlagnahme gemacht.
Zwei Ochsen, fünf fette Schweine, ein paar Dutzend Enten und Hühner wurden beschlagnahmt und dann an die armen Leute verteilt; ein paar Getreidekisten wurden aufgemacht, Mais und Weißmehl, das er an normalen Tagen nicht angerührt hätte, wurden ausgegeben; das alles verschwand in irgendwelchen Beuteln und Taschen: altes Korn, Weizensaat, Mais und Erbsen. Dieser Tag war für die Armen von Liqiaping wie ein Festtag, sie drängten sich in das Haus von Großvater und nahmen mit, was sie mitnehmen wollten. Anfangs hat der Leiter der Arbeitsgruppe noch alles, was beschlagnahmt wurde, in seinem Notizheft aufgeschrieben, später dann war das Durcheinander zu groß und es waren der Leute zu viele, so dass er mit seinen Aufzeichnungen nicht mehr nachkam.
Abends dann hatten diese gut hundert Leute nur ein, zwei Stalllaternen, und in der Dunkelheit sind sogar Töpfe, Schalen, Becken und Kellen spurlos verschwunden. Natürlich war diese Politik nur ein Intermezzo, aber als alle anfingen, drei Ellen tief zu graben und einen Behälter mit Gold, Silber und Juwelen zu Tage förderten und zwei wertvolle Indigo-Stoffe, hat der Arbeitsgruppenleiter das alles öffentlich für beschlagnahmt erklärt. Meine Großmutter wurde durch das Dorf geführt und einer Kampfkritik unterzogen, weil sie die Sachen versteckt hatte. Und ihre Neffen haben sie mit einem Hanfseil gefesselt.
Ende der achtziger Jahre bin ich mit meinem Vater einmal zurück in die alte Heimat, und wir haben vor dem Grab unserer Ahnen ein Foto gemacht. Großvater war gerade erst gestorben, während Großmutter schon vor dreißig Jahren verhungert war. Ich habe mir erzählen lassen, dass die Leute, die vor Hunger schon durch die Gegend schwankten, doch den Klassenkampf nicht vergessen haben, in das Haus des alten Grundbesitzers eindrangen und es nach Nahrungsmitteln durchsuchten. Die leeren Maiskolben, die als Brennmaterial vor dem Herd lagen, haben sie aufgesammelt, sie einzeln zwischen den Fingern zerdrückt und in den Mund gesteckt; selbst die Krüge zum Gemüseeinlegen haben sie umgestürzt, und als nichts drin war, haben sie das Salzwasser löffelweise getrunken.
Bevor Großmutter starb, ist sie vom Bett aus vor die Tür des Hauptraums gekrochen, saß auf der Türschwelle und hat nur noch geweint. Die Felder wurden aufgeteilt, in den Hof, der seit Generationen in der Hand der Familie war, zogen fünf Haushalte ein. Sie nahmen die gut zehn Zimmer in Beschlag, nur den Flügel im Südosten haben sie meinem Großvater und meiner Großmutter gelassen. Vater erzählte, während der Bodenreform habe er in der Kreisstadt unterrichtet, als jemand aus dem Dorf einen Brief vorbeigebracht habe, in dem es hieß, es sei »etwas passiert«, aber er habe gar nicht gewagt, zurückzugehen und nachzuschauen, er hatte Angst vor einer Anzeige, er ziehe keinen klaren Trennungsstrich zwischen sich und diesem Haushalt der Ausbeuterklasse.
Als der Sturm sich gelegt hatte, ist Vater klammheimlich in sein Heimatdorf Liqiaping zurückgekommen, gab Großvater ein bisschen Geld, damit sie über die schwere Zeit hinwegkommen konnten. Nach der Hausdurchsuchung war das ehemalige Grundbesitzerhaus restlos leergeräumt, kein Stuhl und kein Tisch waren noch heil.
Die Urkunden über den Landbesitz waren verbrannt, die »Bodenurkunde« wurde neu ausgestellt. Meine Mutter hatte damals gerade meine Schwester Fei Fei bekommen. In diesen wirren Zeiten hatte sich ein Onkel von uns, ein General der Guomindang, hierhin geflüchtet und meine Mutter gefunden. Ich weiß nicht, wie das Ganze dann ausgegangen ist, ich weiß nur, dass meine Mutter seither die Heimat unseres Vaters, Yanting, von Herzen hasste; darüber haben die beiden ein Leben lang gestritten, jedes Mal hat Mutter mit den Worten angefangen: »Diese verdammten Dorftrottel von Yanting, die haben mein ganzes Leben zerstört.«
1999 , ich war noch nicht lange verheiratet, ist
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