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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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eine Lebensversicherung!«
    LIAO YIWU:
    Als ich rausgekommen bin, hat das Amt für Öffentliche Ordnung mir ebenfalls eine Arbeit gesucht: einen Laden, ich sollte Klamotten verkaufen.
    LI BIFENG:
    Nach zwei, drei Monaten hatte ich noch nicht eine einzige Versicherung an den Mann gebracht. Ich war über vierzig und ließ mich von meinen Leuten durchfüttern, es war beschämend. Mein gegenwärtiger Ausweg lautet: schreiben. Ich kämpfe darum, im Ausland zu veröffentlichen und Bücher herauszubringen.
    LIAO YIWU:
    Schreibst du Zeitkritik?
    LI BIFENG:
    Das kann ich nicht, und das interessiert mich auch nicht.
    LIAO YIWU:
    Ich kenne deine Gedichte und deine Romane sehr gut, aber es wird nicht einfach sein, damit genug Geld zu verdienen. In einem Gedicht beschimpfst du Gott als »alten Grundbesitzer im Himmel«, der nichts anderes vorhat, als »mit den Goldtalern der Sonne die Menschen zu kaufen«. Wer soll das verstehen?
    LI BIFENG:
    Du verstehst es.
    LIAO YIWU:
    Aber von mir bekommst du kein Honorar.

Liao Yiwu,
Opfer von Hausdurchsuchung und Beschlagnahme
    Das ist ein Selbstinterview.
    Eigentlich glaubte ich, in Gesprächsform würden sich die tausendfältigen Erinnerungen ordnen lassen, aber ich hatte nicht bedacht, dass noch viele Dinge herausfallen würden, wie zum Beispiel eine Winternacht 1968 , als meine Mutter von den Straßenmilizen, die die Häuser untersuchten, als flüchtige Grundbesitzerin mitgenommen wurde, wobei sie nebenbei auch noch das Haus durchsuchten. Damals gab es in Chengdu keinen Ort, wo wir hätten bleiben können, woraufhin wir notgedrungen und vorübergehend von einem Bekannten ein Zimmer beim Roten-Ziegel-Tempel in der Nähe von der Neun-Augen-Brücke mieteten, gerade mal neun Quadratmeter.
    Was es für einen Sinn hat, die alten Sachen wieder aufs Tapet zu bringen? Im langen Fluss der Zeit gibt es in verschiedenen Epochen immer wieder Menschen, die ans Messer geliefert werden, deren Blut fließt und immer heller wird – kannst du das Blut von deinem Blut unterscheiden? Das Messer wird aus der Wunde gezogen, aber kannst du das Gesicht der Mörder von vor zehn Jahren von dem der Mörder in zehn Jahren unterscheiden?
    Alles geht durcheinander, setzt Rost an, und über all dem wird ganz selbstverständlich der Vorhang aufgezogen für einen neuen Akt staatlicher Gewalt …

    LIAO YIWU:
    Sind bei Ihnen in letzter Zeit wieder Hausdurchsuchungen vorgekommen?
    LAO WEI [30] :
    Am 18 . Februar 2002 um kurz nach sechs in der Früh, es war teilweise noch stockdunkel, ich hatte gerade erst zwei Stunden geschlafen, als das Telefon plötzlich klingelte und vier, fünf Minuten nicht mehr damit aufhörte. Anschließend hämmerte jemand gegen die Tür. Song Yu ist vor Schreck hoch wie von der Tarantel gestochen, und auch ich habe mir auf dem Weg aus dem Schlafzimmer die Hosen hochgezogen – das war wie eine Szene in einem dieser Horrorfilme, das Klingeln des Telefons und das Pochen an der Tür verzahnen sich, und die Hauptdarsteller im Haus rennen herum wie kopflose Fliegen.
    LIAO YIWU:
    Hatte Ihre Frau keine Angst?
    LAO WEI:
    Sie war noch sehr gefasst. Leute, die mit mir zu tun haben, sind es gewohnt, mit der Polizei in Kontakt zu kommen. Im Anfangskapitel des
Archipel Gulag
werden ein paar Verhaftungsszenen geschildert, Song Yu hatte das schon ein paarmal mitgemacht: So zum Beispiel, dass der Bräutigam bei dem traditionellen ersten Besuch bei ihrer Familie nach der Trauung und vor dem Hochzeitsbankett sich von einem Augenblick auf den anderen in Luft auflöst und die Braut sich ein Lächeln abringt und die Gäste unterhält; wie zum Beispiel, dass ich mich offensichtlich mit Freunden zu einem Feuertopf treffe und die ganze Nacht nicht zurückkomme; und dann die gar nicht mehr aufzuzählenden Fälle, in denen jemand auf mysteriöse Weise spurlos verschwindet … Das Einzige, das sie tun kann, sie telefoniert mit Freunden und fragt, wo ihr Mann abgeblieben ist – und dann warten. Deshalb hat sie diesmal schnell ihre Ruhe wiedergefunden, hat sich vor dem Spiegel gekämmt und für die Arbeit zurechtgemacht. Erst als die Wohnung voller Polizeibeamter in Zivil war, hat sie unverhohlen aus den Händen des Abteilungsleiters, der die Truppe anführte, eine »Vorladung« und einen »Durchsuchungsbefehl« verlangt, beides vorsichtig entgegengenommen und lächelnd gesagt: »Sollte es so einen ›Durchsuchungsbefehl‹ nicht in doppelter Ausführung geben?«
    Der Abteilungsleiter sagte: »Wir haben nur die

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