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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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zerbrochene Porzellan wieder kitten, aber seine Frau hat das energisch abgelehnt.
    LIAO YIWU:
    Wie viel haben Sie am Ende eingebüßt?
    LAO WEI:
    Das ist eine endlose Rechnung. Ich hatte sämtliche Manuskripte bei mir, die ich seit 1980 verfasst hatte, mehrere Videos und Musikkassetten, ein Taschenaufnahmegerät, Bildbände, Gedichtbände aus dem Untergrund, dann noch über 1400 Renminbi, es ist alles konfisziert worden. Anschließend haben sie mich in Untersuchungshaft zum Songshan gebracht, das ist Teil des Geleshan-Gefängnisses, ein alter Kasten nicht weit vom Baigong-Gebäude entfernt. Kaum war ich drin, haben sich fünf Gefangene aus dem Arbeitslager wie die Wölfe auf mich geworfen und mir die Kleider vom Leib gerissen. An einem Regentag im dritten Monat nach dem westlichen Kalender stand ich gut ein paar Minuten wie eine Prostituierte nackt im Korridor des ersten Stockes und hielt mir die Hände vor den Unterleib. Doch die Gefangenen haben alles durchgekramt und alles, was in den Taschen und Nähten war, durchsucht; sie haben den Gürtel aus der Hose gezogen, mit einer Zange die metallenen Knöpfe abgezwickt und den Reißverschluss aus der Hose gerissen.
    Anschließend haben die Gefangenen mich mit den Füßen am Boden gehalten und mich kahlgeschoren. Dann befahlen sie mir, die Hinterbacken auseinanderzuziehen, und der Anführer ist mir zur Untersuchung mit einem Bambusstäbchen in den Anus gefahren, wobei sie selbstgefällig mit einer Taschenlampe alles ausgeleuchtet haben, damit nur ja nichts Verbotenes unentdeckt bliebe.
    Um die Wahrheit zu sagen, sind mir damals die Tränen gekommen, meine Würde als Dichter war ein für alle Mal zerstört. Als ich mich völlig apathisch wieder angezogen hatte und in eine Zelle gesperrt worden war, unterschied ich mich mit meinen hängenden Schultern und dem eingezogenen Kopf, den bloßen Füßen in den zerrissenen Schuhen bereits in nichts mehr von den anderen Gefangenen, wie ich die kalte Luft hochzog und mit beiden Händen meine Hose festhielt. Ich dachte, das war’s, hier kommst du nicht wieder raus.
    LIAO YIWU:
    Aber am Ende haben Sie überlebt.
    LAO WEI:
    Ja, manchmal schrecke ich aus einem Traum hoch und finde es selbst eigenartig, dass ich immer noch das Glück habe zu leben. Wenn man vier Jahre im Knast ist, werden Durchsuchungen und Leibesvisitationen dein täglich Brot, man wird Dutzende Male in seinen Rechten verletzt, wie eine Prostituierte von einem Freier, und die ganzen perversen Forderungen der Volkspolizei kommen einem vollkommen normal vor, gehört alles zur Exekutive. Wenn man es am Ende überstanden hat, ist die Familie zerstört, niemand mehr da, ich konnte nur noch mein leeres Bündel an meine Flöte hängen, nach Chengdu zurückkehren und mich von meinen Eltern aushalten lassen. Doch wer einmal als politischer Gefangener gezeichnet ist, der braucht nur einen Tag im Land zu sein, und er wird die Vorladungen und Durchsuchungen nicht mehr los. Im Juni 1995 war ich einen Monat eingesperrt, weil ich in die Sache mit den sechsundfünfzig Unterschriften unter Liu Xiaobos Erklärung zum 4 . Juni mit hineingezogen wurde; am 10 . Oktober 1995 wurde ich einen Tag und eine Nacht festgehalten, weil ich versucht hatte, einen »Appell« von politischen Gefangenen aus dem Gefängnis heraus an Amnesty International weiterzuleiten, ich wurde für vierundzwanzig Tage unter Hausarrest gestellt, und die Handschrift meines Buchs
Für ein Lied und hundert Lieder,
insgesamt über dreihunderttausend Zeichen, und das Ausgangsmaterial von
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
und eine Menge an Büchern und Briefen wurden beschlagnahmt. Im Juni 1997 wurde ich für einen Tag und eine Nacht festgesetzt wegen der Gründung der Zeitschrift
Der Intellektuelle,
und das inzwischen neu geschriebene Manuskript von
Für ein Lied und hundert Lieder,
insgesamt über zweihunderttausend Zeichen, wurde erneut konfisziert. Im September 1998 wurde meine zeitweilige Wohnung in Beijing durchsucht wegen meiner Herausgeberschaft des Buches
Der Fall des heiligen Tempels
und wegen der Durchführung »illegaler Interviews«, und ich wurde aufgefordert, Beijing zu verlassen. Im Februar 1999 wurden wegen meiner Materialsammlung für das Buch
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
die staatlichen Sicherheitsbehörden alarmiert, und ich bin zwei Stunden vor dem ersten Besuch der frisch vermählten Braut bei ihren Eltern und dem Hochzeitsbankett dem Gesetz in die Maschen gegangen und wurde zusammen mit

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