Die Kugel und das Opium
mit unserem Regisseur Wan Xia gemeinsam den Film »Requiem« zu Ende geschnitten, hat mir ihn einmal zur Kontrolle vorgeführt, und wir beschlossen, ihn nicht weiter zu bearbeiten, diese Fassung zu nehmen, die Mutterbänder zu verteilen, das Licht auszumachen und zu schlafen.
Wie Pioniere bei der Minensuche haben die gut zehn Polizisten im Telekommunikationszentrum der Uni und in Zeng Leis Wohnheim alles durchsiebt. Ich habe mir erzählen lassen, kurz bevor sie den Wagen bestiegen, hätten Zeng Lei und Wan Xia mit ihren gefesselten Händen die Videos und die Bücher hochgehalten und von dem Fotograf der Agenten als Beweis ablichten lassen. Die beiden hätten konsterniert geschaut und noch Zahncreme in den Mundwinkeln gehabt. Die Beweisstücke füllten zwei ganze Kleinbusse, darunter Zeng Leis sämtliche filmische Arbeiten, seine Materialbänder, seine Bücher und Zeitschriften, seine Briefe, Fotos, seine Theaterschminke und seine Kostüme und Requisiten.
Liu Taiheng, Wan Xia, Zhou Zhongling, Ba Tie, Gou Mingjun, Li Yawei, Shi Guanghua und den anderen, alles in allem über zwanzig Leuten, wurden in den verschiedenen Teilen der Stadt Wohnungen und Häuser durchsucht, unzählige private Gegenstände künstlerischer oder literarischer Art wurden beschlagnahmt und kamen zu den Gerichtsakten. Zhou Zhongling hatte eine reiche Büchersammlung zu Hause, die Polizisten haben seinen über zwei Meter hohen Bücherschrank mit großem Radau leergeräumt, sind bei der Durchsuchung auf den Büchern, die fast einen Meter hoch den Boden bedeckten, herumgetrampelt. Ba Tie, der Lyrikkritiker, hat sein gesamtes lyrisches Material, das er über Jahre gesammelt hatte, eingebüßt, seine Notizen, seine Bücher und Zeitschriften und seine Korrespondenz mit Autoren; als er nach zwei Jahren wieder aus dem Knast kam, war er sehr deprimiert, dass die Texte, die er ein halbes Leben lang so gehegt und gepflegt hatte, weg waren.
Meine Wohnung und die meiner Schwiegereltern haben sie ebenfalls mit einem Besuch beehrt. Binnen drei Tagen ist meine Unterkunft auf dem Gelände der Kunsthalle dreimal durchsucht worden, CDs, Bildbände, das Tagebuch von A Xia, die Federzeichnungen, die Bücher, die Tonbänder, die Manuskripte, alles haben sie weggeschafft, den Kleiderschrank, den Bücherschrank, das Sofa, das Bett, den Tisch, alles haben sie auseinandergenommen, haben mit Eisenstangen überall Löcher gebohrt. A Xia war damals bereits im dritten Monat, aber sie haben sie mitgenommen und über vierzig Tage im Untersuchungsgefängnis des Amtes für Öffentliche Ordnung festgehalten, sie Tag für Tag verhört und gezwungen, ihren eigenen Mann ans Messer zu liefern. Als sie gegen Kaution nach Hause entlassen wurde, hatte sie sich eine recht schwere Lungenkrankheit zugezogen und konnte nicht mehr zu Hause bleiben. Denn, wie mir Nachbarn erzählten, waren bereits mehrmals Diebe in unserer Wohnung gewesen und hatten alles mitgehen lassen, was die Polizei übrig gelassen hatte – den Schmuck, die Kleider, alle möglichen Einrichtungsgegenstände und elektrischen Geräte und so weiter und so fort. Aus dem Ankleidespiegel und dem Bett hatten sie Kleinholz gemacht, ins Schlafzimmer geschifft – wahrscheinlich haben sie ihrem Frust darüber Luft gemacht, dass sie bei uns keine reiche Beute hatten machen können,
LIAO YIWU:
Das ist wirklich das Allerletzte, haben denn Ihre Nachbarn nichts unternommen gegen die Diebe?
LAO WEI:
Tagsüber ging die Polizei in unserer Wohnung ein und aus, als am Abend in der Wohnung Licht brannte, dachten die Nachbarn, das sei noch alles offiziell. A Xia war zu Tode erschrocken – das brachte den Stein ins Rollen, der später zu unserer Scheidung geführt hat. Vier Jahre später hatte ich meine Strafe abgesessen und wurde entlassen. Ich habe versucht, meinen alten Beruf als Schriftsteller wiederaufzunehmen, aber wenn A Xia mich nur ein Romanmanuskript herauskramen sah, war sie vor Angst ganz außer sich, ich versuchte, ein paar erklärende Worte zu finden, aber sie hielt sich mit beiden Händen den Kopf und kreischte hysterisch.
LIAO YIWU:
Wurden bei den damaligen Hausdurchsuchungen Listen erstellt? Gibt es eine »Detaillierte Aufstellung der beschlagnahmten Gegenstände«?
LAO WEI:
A Xia hat nichts davon gesagt, außerdem wollte sie ohnehin nie wieder über das Ganze sprechen. Nicht lange nach meiner Entlassung haben wir uns dann scheiden lassen. Auch Liu Taiheng ist geschieden. Noch am Tag seiner Entlassung wollte er das
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