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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Zeugen waren diese »Beweisstücke« wahllosen Inhalts, und es gab eine große Menge von Schriftrollen aller Art. Einschließlich einer ganzen Reihe von Zeitungen und Zeitschriften aus der Zeit vor der Befreiung, Studienmaterialien zu den verschiedenen politischen Bewegungen, Wandzeitungen, Parolen und Kampfblätter der Rotgardisten aus der Kulturrevolution, Redemanuskripte und alle möglichen anderen Dokumente; literarische und philosophische Mitteilungen, für den internen Umlauf bestimmte Bücher in gelbem, grauem und weißem Einband, politische Informationen und Schriften, die im Untergrund kursierten, handschriftliche Kopien von Romanen und Gedichten … und das in einer so gewaltigen Zahl und über einen so langen Zeitraum und zu einer solchen Vielzahl von Themen, wie man das nur selten zu Gesicht bekommt.
    Augenzeugen berichten, dass die Polizei eine ganze Nacht lang beschäftigt war, bis sie drei Lkws 130 aus inländischer Produktion mit diesen Bergen einer »gesellschaftlichen Materialsammlung« vollgepackt und weggeschafft hatten.
    LAO WEI:
    In dem Buch, das Sie ansprechen, habe ich Untergrunddichter aus den siebziger Jahren ausgegraben, am meisten bewegt jedoch hat mich Zhao Yifan, der selbst gar keine Gedichte geschrieben hat. Er war der herausragendste Sammler, den China in den letzten hundert Jahren gekannt hat, ein Behinderter, der unter dem gewaltigen politischen Druck Stück für Stück dieses Untergrundmaterials gesammelt hat. Nach seinem Tod ist diese einzigartige Räucherkerze ausgegangen, niemand mehr hat weiter schweigend das historische Material der Untergrundliteratur gesammelt. Leider hat dieses Buch immer noch Lücken: Zum einen konnte die letzte Überarbeitung nicht mehr gemacht werden, es sind noch viele orthographische Fehler darin; zum anderen konnten einige Interviews mit Zeitzeugen nicht mehr gemacht werden – am 8 . September 1998 standen auf einmal gut zehn Polizeiautos vor meiner zeitweiligen Bleibe in Beijing, und man hat mich nach der Hausdurchsuchung eine Nacht lang im Weststadt-Büro des Amtes für Öffentliche Sicherheit verhört und mir befohlen, in den nächsten Tagen Beijing zu verlassen.
    Mit Hilfe der Seele des verstorbenen Zhao Yifan hatte ich eine Vorahnung gehabt und einen Großteil des Materials und der Interviews für das Buch an einen anderen Ort geschafft, weshalb sie außer der Beschlagnahmung von ein paar verbotenen Büchern fast keinen Schaden angerichtet haben. Mein Verbrechen war das gleiche wie das von Zhao Yifan: Konterrevolution. Der Unterschied lag darin, dass er »verbotene Bücher« und ich »verbotene Tonbänder verbreitete«; er nahm an einer erfundenen reaktionären Organisation mit Namen »Vierte Internationale« teil, und ich hatte ein Ensemble für das »Requiem« zusammengetrommelt.
    LIAO YIWU:
    Lassen Sie uns zu Ihren eigenen Erfahrungen mit Hausdurchsuchungen zurückkommen, sonst kommen wir zu keinem Ende.
    LAO WEI:
    Vor 1989 wurden in der Tat die Wohnungen von vielen Untergrunddichtern in Sichuan durchsucht, damals funktionierten die Verteilungskanäle der Gedichtzeitschriften im Untergrund wie geschmiert, und sie hatten großen Einfluss, weshalb die Behörden der Öffentlichen Sicherheit eigens eine Akte für Untergrunddichtung aufgemacht haben, in der Leute wie unter anderen Zhou Lunyou, Shi Guanghua, Wan Xia und Song Wei gelistet waren. 1987 war ich selbst kreatives Mitglied der Kunsthalle Bezirk Fuling, habe ihnen ein X für ein U vorgemacht und die Literaturzeitschrift des Museums
Baguo wenfeng
zu einer Zeitschrift für moderne Lyrik gemacht:
Bashu xiandai shiqun
. Ich habe zwei Monate daran gearbeitet, bin jeden Tag zur Druckerei gelaufen, habe eigenhändig die Bleizeichen ausgesucht und gesetzt, aber an dem Tag, an dem die Zeitschrift erscheinen sollte, haben gut zehn Polizisten die Druckerei gestürmt. Ich war im ersten Stock gerade dabei, den Blindband akribisch Korrektur zu lesen und überwachte das Binden, als die unten Alarm geschlagen haben. Ich sah keinen Ausweg, aber Not macht erfinderisch, also nahm ich eines der noch nicht gebundenen Exemplare und sprang aus dem Fenster. Glücklicherweise war die Gasse unten nicht gepflastert, sondern aus Lehm, ich fiel in den Dreck und sah entsprechend aus, aber ich habe mir nicht weh getan. Ich bin gerannt wie um mein Leben und habe mich erst an den Kaianlagen umgeschaut, ob sie mich verfolgen.
    Ich bin mit Schiff und Bus auf schwankenden und holprigen Wegen direkt zu Zhou Zhongling nach

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