Die Kugel und das Opium

einem Dichter aus der dortigen Region Jiangyou, dem die rechte Niere fehlte, für vierundzwanzig Stunden arrestiert und verhört, das Manuskript für
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
mit seinen über vierzig Kapiteln und mein Adressenverzeichnis wurden beschlagnahmt.
    Bei den verschiedenen Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen habe ich dann doch das Gefühl gehabt, dass die Gesellschaft Fortschritte macht: Die Sprache und die Aktionen der Polizei wurden von Mal zu Mal zivilisierter. Ich wusste ja selbst, dass in einem Land, in dem es zu Propagandaverbrechen kommt, ein Autor, wenn er seinem Gewissen treu bleibt, wenn er versucht, eine höhere Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, durch sein Schreiben Beweismaterial gegen sich selbst produziert. Das Material, das ich so gegen mich selbst hergestellt hatte, belief sich bereits auf über eine Million Schriftzeichen, ganze Generationen von Polizisten in Sichuan haben sich damit beschäftigt.
    Bis heute hat mir die Polizei außer zwanzig privaten Briefen nichts rückerstattet. Als die mutigen Ritter in Scharen meine Tür stürmten und mich im Namen des Gesetzes unter Kontrolle brachten, wurde meine Privatsphäre zu einem Selbstbedienungsladen gemacht, wo man beliebig alles durchstöbern und auf den Kopf stellen durfte. Und wenn man dir etwas wegnimmt, ist das Einzige, das du machen kannst, eine juristisch relativ einwandfreie Abwicklung zu verlangen, eine detaillierte Liste der beschlagnahmten Gegenstände, auch wenn beinahe alles, was sie mitnahmen, auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
    LIAO YIWU:
    Was für einen Wert hat denn so eine Liste?
    LAO WEI:
    Sie bleibt Beweis, sie ist Mahnung für einen selbst und in Zukunft auch für andere Menschen. Außerdem verlange ich meine Sachen gerne von ihnen zurück, wenn ich bei ihnen vor der Tür stehe, um so dem Vernehmen nach die Oberhand zu bekommen. Am 16 . März 1990 bin ich ins Gefängnis gekommen, da war der Dichter, der einmal meinen Namen getragen hatte, bereits gestorben, heute steht hier nur noch ein Zeuge, du kannst mich durchsuchen, du kannst mich bis auf die Haut ausziehen, du kannst meinen Anus untersuchen, das macht alles nichts, ich genieße mehr Respekt und Selbstrespekt als ihre ganze Polizei zusammen, weil ich schreibe, weil ich dokumentiere, weil ich die schmutzigen und perversen Seelen der Untersuchenden aufdecke. Wenn sie mich eines Tages auch noch des Schreibens berauben, dann spiele ich Flöte, dann werde ich Straßenmusiker, dann heule und brülle ich es direkt hinaus. An meiner Stimme können die Leute hören, was ich von dieser schändlichen Epoche festgehalten habe, sie können meine Flüche hören, meine Wut und meine Empörung. Natürlich werden sie in meiner Stimme auch meine Einsamkeit, meinen Narzissmus und meine selbstlose Liebe hören – das ist die beste Ausrede, die ich für mein Weiterleben habe.

Yang Wei,
ein Flüchtling auf dem Bodensatz der Gesellschaft
    Yang Wei, aus Dujiangyan in Sichuan, runder Kopf und Sprachfehler. Schwerer regionaler Akzent, nicht gut im Kontakt mit der Außenwelt. Von Natur aus wachsam wie eine Wildkatze und mit ständig wechselndem Wohnsitz.
    Yang stammt aus ärmlichen Verhältnissen, bei seiner Verhaftung war er noch keine achtzehn, ein kleiner, naiver Student der Technischen Hochschule, der im Grunde mit den großen Fragen des Landes nichts am Hut hatte. So haben die blutigen Vorfälle am 4 . Juni ihn geformt; Yang war voller gerechter Empörung, und als er den Staub Beijings von den Füßen geschüttelt hatte und in seine Heimat zurückgekehrt war, erfand er aus dem Nichts heraus Nachrichten einer ausländischen hochqualifizierten Demokratiebewegung namens »Chinesisches Bündnis für Demokratie« und hat sie wie von Sinnen an Hunderten von Stellen in Sichuan, dem Land des Überflusses, geklebt, mit keinem anderen Inhalt als der Ermutigung, Farbe zu bekennen, die Blutschuld der Regierung einzufordern, die Tyrannei zu stürzen und so weiter. Um die Wirkung seiner Erfindung lebensecht zu machen, hat Yang seine Bekanntmachung am Ende mit »Chinesisches Bündnis für Demokratie, Sichuan« unterschrieben, was das Ganze anschließend zu einer Riesensache gemacht hat, die nacheinander von den Regionen, den Städten und der Regierung an das Zentralkomitee gemeldet wurde. Außerdem hat man Experten zusammengezogen, die die Informationen auseinandernehmen sollten, es wurden Hunderte der besten Polizeikräfte in Bewegung gesetzt, um den Fall in kürzester Zeit zu