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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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der alten Wärter würden ihre Kriminellen nur dann nicht mehr auf dumme Gedanken kommen, wenn man sie zusammenpferchte wie Hot Dogs an einem heißen Tag und sie unentwegt in Atem hielt.
    LIAO YIWU:
    Was für dumme Gedanken?
    WANG YAN:
    Zum Beispiel die Hoffnung auf Rehabilitierung des 4 . Juni, heimliches Abhören von ausländischen Sendern, Verbreitung von Straßengerüchten über die Gesellschaft. In den ersten zwei, drei Jahren dachten alle noch, sie würden nicht lange im Knast bleiben, nach und nach wurde diese Hoffnung allerdings immer vager. Deng Xiaoping hatte seine berühmte Reise in den Süden gemacht, die Kommunistische Partei ihre Politik verändert, der Frühlingswind, nach dem alles »nach vorne schauen« sollte (und vorne war, wo das Geld ist), drang bis ins Gefängnis vor, was den traditionellen »politischen Unterricht« ebenfalls auflockerte. Anschließend haben wir uns alle auf einen Schlag verändert, wurden zu Robotern am Band wie Charlie Chaplin einen gespielt hat. Zuerst haben wir Latexhandschuhe hergestellt. Was wir machten, war der letzte Abschnitt im Fertigungsprozess. Wir schnitten die überflüssigen Seiten weg und untersuchten noch einmal die Dichtigkeit der Dinger. Alle spitzten den Mund und pusteten in diese Dinger hinein. Und das Talkum, in dem die Handschuhe lagen, wurde von dem Gepuste zischend in die Luft geschleudert wie Nebelbälle. Im Nu hatten wir alle »weißgepuderte Gesichter«, anschließend waren wir von Kopf bis Fuß weiß gepudert, wie die Henker in der Beijingoper. Am Anfang waren unsere Bewegungen noch ziemlich ungeschickt, die Tagesnorm pro Person lag bei zwei Kisten von den Dingern, das waren zweitausend Stück; aber nach einer Weile stieg die Norm wie eine Sturmflut, es gab kein Halten mehr, so dass wir Tag und Nacht schuften mussten. Die Wärter haben, um uns zu ermutigen – auch das bahnbrechend –, die ganze Nacht lang die Zellen nicht abgeschlossen und so die Umerziehungsfront von den Betten in die Schulungsräume verlegt.
    LIAO YIWU:
    Warum das?
    WANG YAN:
    Die Zellen waren eng wie Mauselöcher, alles war von dem Talkumpuder bedeckt, man konnte das Gesicht seines Bettnachbarn nicht mehr ausmachen, von Schlafen ganz zu schweigen. In den Schulungsräumen dagegen war Platz und sie hatten Fenster, die Luft war sehr viel besser. Zwischen elf und ein Uhr nachts waren wir alle wie besessen, wir pusteten und pusteten, knallten die Schachteln zu und dann die Boxen. Oft waren wir noch morgens um vier oder fünf am Rotieren, die reinsten Maschinen.
    LIAO YIWU:
    Wie hält man das aus?
    WANG YAN:
    Wenn von ferne ein Hahn kräht, nicht hinhören; wenn die Klingel zum Wecken läutet, beginnt der ganze Körper zu zittern, man erwacht wie aus einem Traum, schlafft ab, schlaff wie Nudelteig, schliert auf den Boden und schläft wie tot. In diesen Tagen hat einer das Wunder vollbracht, in einer Tag- und Nachtschicht nur zwei Stunden die Augen zuzumachen und insgesamt sechzehn Boxen fertigzumachen, das sind insgesamt sechzehntausend Handschuhe. Einer war so müde, der kam nicht mehr hoch, jetzt hat er bis zu seinem Lebensende eine Staublunge. Andere haben sich auf halbem Weg nicht mehr aufrecht halten können, also haben sie sich Nadeln in die Brust geschlagen, die wollten sterben und konnten nicht, völlig ausgeflippt.
    LIAO YIWU:
    Wozu werden denn diese Latexhandschuhe benutzt?
    WANG YAN:
    Die eher dicken waren für den täglichen Gebrauch, zum Geschirrspülen, die kann man in jedem Supermarkt kaufen; die dünneren sind für den medizinischen Bedarf, vor allem in Krankenhäusern. Ich habe mir sagen lassen, dass unsere Produkte über die Beijinger Latexfabrik in den Export gewandert sind, die standen auf den Bestelllisten von amerikanischen Firmen.
    LIAO YIWU:
    Das waren also Produkte aus der Umerziehung durch Arbeit.
    WANG YAN:
    Das wusste insgeheim jeder. Deshalb hat ein Rowdy von der siebten Schwadron, ein Mann namens Shi Xuezhi, der wegen Brandstiftung saß, eines Tages eine Menge Zettel englisch beschriftet und in die Handschuhe gestopft.
    LIAO YIWU:
    Was stand da drauf?
    WANG YAN:
    Ich bitte gute Menschen, das weiterzugeben: Rettet uns! Rettet China! Lang lebe Freiheit und Demokratie!
    LIAO YIWU:
    Und das Resultat?
    WANG YAN:
    Das ist sehr schnell entdeckt worden. Für Shi Xuezhi kam es ganz schlimm, er bekam Hand- und Fußfesseln, die noch mit einer Fessel aus heimischer Produktion zusammengeschlossen wurden. So haben sie ihn für über drei Monate in eine zwei

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