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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Mantou aus verschiedenen Mehlsorten, für jeden zwei Stück, größer als ein Entenei. Wenn wir Glück hatten, waren sie auch größer als ein Gänseei. Die Gemüsesuppe war vergammelter Weißkohl, denn das Zeug ist billig, vor allem im Winter hat es nichts anderes gegeben. Da hat man kein Federlesen gemacht, ob das stank oder nicht, es wurde alles wahllos in den Topf geschnippelt, durchgekocht, in einen großen Bottich geschaufelt und dann an uns ausgegeben. Verdammt, es gab absolut kein Öl, über das Zeug hätten sich nicht einmal die Schweine gefreut. Alle haben das mit Todesverachtung heruntergewürgt und sich nach einer Kartoffelsuppe gesehnt, obwohl die auch nach nichts geschmeckt hat, aber da war wenigstens Stärke drin.
    LIAO YIWU:
    Ich hasse Kartoffeln wie nichts anderes. Wir haben im Knast, Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag Kartoffeln gegessen. Wenn ich sie in den Mund geschoben habe, wollte es mir schon hochkommen, aber ich musste das Zeug doch schlucken. Das macht mir bis heute Angst, für mich sind Kartoffeln ein Symbol für einen Albtraum.
    WANG YAN:
    Sichuan, wo du herkommst, ist ein Land des Überflusses, da gibt es alles in Hülle und Fülle, deshalb habt ihr auch immer Kartoffeln bekommen. Aber wenn es in Beijing hart auf hart kam und der Hunger weh tat, waren für mich Kartoffeln Symbol eines Wunschtraums.
    LIAO YIWU:
    Wie oft habt ihr Fleisch bekommen?
    WANG YAN:
    Unregelmäßig. Wenn es Fleisch gab, blieb es einem normalerweise zwischen den Zähnen stecken, das hat einen tiefen Eindruck gemacht, einmal, das war bahnbrechend, haben sie einen ganzen Bottich voll herausgetragen.
    LIAO YIWU:
    Wie?
    WANG YAN:
    Wie, wie? Der war voll Fleisch.
    LIAO YIWU:
    Wie kam das denn?
    WANG YAN:
    Da war kein Fädchen trockenes, mageres Fleisch, das war fettes Fleisch mit Schwarte, leuchtend weiß, das blendete einen richtig. Wir sind hin, um uns das aus der Nähe anzusehen, da war auch kein Fädchen Gemüse. Der Kerl, der das Fleisch verteilte, schlug an die Bottichwand, brüllte immer irgendwas, warum wir herumstünden wie angenagelt, wir sollten herkommen und Essen fassen. Und dann bekam jeder eine große Kelle voll.
    LIAO YIWU:
    Da habt ihr euch den Bauch vollgeschlagen.
    WANG YAN:
    Man hatte es kaum im Mund, da hat es unerträglich gestunken, widerlich. Aber im Magen haben Öl und Fett gefehlt, also haben wir die Luft angehalten und es gegessen. An dem Fett war noch die Schwarte, auf der Schwarte waren noch die Borsten, alle grinsten, haben erst die Borsten ausgespuckt und dann das Fleisch reingestopft. Einer von uns war so selbstlos, der hat sofort einen Vortrag gehalten, wie man das Fleisch essen soll – schaut her, die Schwarte nach unten und von der anderen Seite her essen, dann sind die Borsten gleich verschwunden.
    LIAO YIWU:
    Da brauchte man ja Courage, um dieses Fleisch zu essen.
    WANG YAN:
    Stimmt. Aber man bekam höchstens ein bisschen Dünnpfiff. Wir waren nicht mehr wert als Ameisen, man durfte nicht sterben, man musste seine Zeit absitzen.
    LIAO YIWU:
    Und wie lang warst du jetzt genau in der Umerziehung durch Arbeit?
    WANG YAN:
    Nicht ganz sechzehn Jahre. Da habe ich es noch ganz gut getroffen. Denn ich hatte ein bisschen Kultur, verstand etwas vom Leben, ich habe drin den Großgruppenleiter gemacht, mir ging es nicht allzu schlecht. Ich habe mich auch immer anständig verhalten und habe Namenslisten der Rowdys vom 4 . Juni, die hier ihre Zeit abrissen, nach draußen weitergegeben. Ich habe immer wieder überlegt, wenn ich auffliegen würde, würde ich gestehen. Aber ich habe am Ende alle Hürden genommen.
    LIAO YIWU:
    Das war sicher nicht leicht.
    WANG YAN:
    Nachher, das war viel schwerer. Als ich draußen war, war ich frei. Von außen betrachtet. Aber innerlich war ich immer noch gefesselt. Ich war schon vierzig, musste mich neu in die Gesellschaft einpassen und lernen, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, dabei konnte ich die Sachen aus dem Knast nicht brauchen. Die Zeiten hatten sich zu sehr verändert, Beijing-Stadt war ein paarmal so groß wie früher, ich war nie sicher, wenn ich irgendwo hinging, dass ich mich nicht verirrte und wieder zurückfand. Meine Eltern sind schon älter, aber ich bin noch mit ihnen zusammengepfercht, ich lasse mich von ihnen durchfüttern, es ist einfach nicht nach meinem Geschmack. Ich kann keine Nacht schlafen, sollte mein ganzes Leben ein Fehler gewesen sein? Hätte ich damals nicht so heißblütig sein sollen? Werden die Leute vom 4

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