Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
Studenten zu unterstützen, mit einem kleinen Fahrrad mit Beiwagen zum Platz gekommen und hat Bohnensuppe mitgebracht, die kühlt und entgiftet. Bei uns zu Hause war es dasselbe, meine Mutter hat fast jeden Tag eine Schachtel mit Eiern und dazu Gurken und Tomaten hingebracht, alles auf eigene Kosten, und dann hat sie noch was dahergeredet von: bei der Hitze, wenn diese Kinder mal keinen Sonnenstich bekommen. Die Preise sind 1989 explodiert, es war kein Ende abzusehen, aber das Einkommen der einfachen Leute ist nicht gestiegen. Damals hatte ich im Monat gerade einmal achtzig Kuai, und davon habe ich noch vierzig für die Studenten gespendet.
    Wir hatten keine Ahnung, was Politik ist, noch weniger hatten wir vor, »die Regierung zu stürzen«, wir hatten bloß das Gefühl, das, was die Studenten da auf dem Tiananmen sagten und taten, war dem ganzen Volk aus dem Herzen getan und gesprochen. Wer hat denn nicht die Hoffnung, dass es in seinem Land besser wird? Natürlich hat das die Kommunistische Partei auch gesagt, aber das war eher wie ein Krebskranker, der behauptet, die Stimme des Herzens habe Krebs, er selbst aber sei kerngesund.
    LIAO YIWU:
    Ganz genau! Wir sind von den Krebszellen des Systems eingeschlossen, verschlungen und wissen nicht, wann wir uns davon befreien können.
    DONG SHENGKUN:
    Für Land und Volk zu tun, was in der Macht des Einzelnen stand, das war Konsens unter den Bürgern während der Studentenbewegung 1989 .
    Unser Haus war ganz in der Nähe des Tiananmen, ich bin fast jeden Tag nach der Arbeit zum Platz und zu den Studenten, habe mit ihnen geredet, ihnen Mut gemacht, mehr konnte ich nicht tun. Mehrere zehntausend Ausnahmetruppen haben Beijing eingekreist. Ein Gerücht ging um, Li Peng sei sich mit Deng Xiaoping bereits einig und hätte Befehl gegeben, die Truppen würden jede Sekunde einrücken, sie würden Leute umbringen. Die Menschen wurden unruhig. Den Studenten stand die Angst im Gesicht, sie waren verschreckt wie Schafe, die in den Brunnen gefallen sind. Ich habe gehört, dass die Anführer im Hauptquartier der Studenten auf dem Platz die Beherrschung verloren und sich auch geprügelt haben.
    LIAO YIWU:
    Ich habe gehört, dass Sie schon bei den Soldaten waren?
    DONG SHENGKUN:
    Drei Jahre Infanterie. Nach meiner Entlassung habe ich im Zentrum für Druckplattenherstellung einer Druckerei gearbeitet. Sie werden es vielleicht nicht glauben, wenn ich das so sage, aber bei der Truppe, da gab es eine positive Erziehung: Liebe zur Partei, Liebe zum Land, Liebe zum Volk, für Kriegszeiten war Huang Jiguang [10] , der sich im Koreakrieg mit seinem Körper vor zwei Maschinengewehre des Feindes gestellt hatte, ein Vorbild, für Friedenszeiten war es Lei Feng [11] mit seinen guten Taten. Doch als am 4 . Juni das Schießen anfing, wurde das alles auf den Kopf gestellt, sie haben sehenden Auges gemordet, es war nicht zum Aushalten!
    LIAO YIWU:
    Wo haben Sie denn das Töten gesehen?
    DONG SHENGKUN:
    Am Abend des 3 . Juni, ich war mit dem Fahrrad unterwegs, um meine Eltern, die in der Nähe der Beijinger Sporthalle wohnten, zu besuchen. Ich habe ein paar Tage nicht zur Arbeit gehen können, sie machten sich Sorgen. Zu dieser Zeit war die Situation schon ziemlich ernst, die Truppen rückten vor, die einfachen Leute verstellten die Straßen, es war das absolute Chaos. Vor ihrer Haustür am Liubukou, das ist an der Chang’an, habe ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden gesehen, der erschossen worden war, er lag quer unter der Brücke, blutverschmiert, es standen einem die Haare zu Berge. Ich besann mich, hier konnte ich nicht weiterfahren, wenn ich weiterfuhr, kam ich zum Tiananmen. Die Gewehre knallten, es klang, wie wenn man Bohnen röstet, ein wüster Krach, dann Stille, dann wieder wüster Krach. Kugeln haben keine Augen.
    Doch ich zögerte, da hinten am Palast der Nationalen Minderheiten an der Chang’an, an dem ich gerade vorbeigekommen war, hatte ich weit weg Panzer und gepanzerte Wagen vorbeifahren sehen, ein langer Konvoi, ihm folgte ein längerer Truppenkonvoi, der schier kein Ende nehmen wollte. Die Truppen drangen ausgesprochen langsam vor, Formation und Wagenabstand war besonders dicht, Stück für Stück tasteten sie sich vor. Auf beiden Seiten des Konvois lief Infanterie mit Gewehr im Anschlag und passte auf, sie waren sehr nervös.
    LIAO YIWU:
    Als würden sie Parade spielen.
    DONG SHENGKUN:
    Ich war ja selbst Soldat gewesen, ich wusste, dass das kein Spaß war, und mit dem Körper

Weitere Kostenlose Bücher