Die Kugel und das Opium
wenn es noch so hart ist, es bringt einen nicht um. In der Zelle hieß es immer, heute Winter, morgen Frühling, Herr Sowieso, einmal kommst du raus! Morgen Winter, danach Frühling, Zhao Ziyang kommt zurück, der 4 . Juni wird rehabilitiert! Der ein oder andere hatte auch heimlich ein Radio im Hemd, das versteckte er in seinem Nest und hörte Feindsender. Und so lebt man mit wenig Freude vor sich hin. Ich bin nicht besonders helle, ich denke, was alle denken. Aber Jahr um Jahr und noch ein Jahr, unzählige Winter und Frühlinge, die Bärte wurden gelb, die Augen trübe, im Nu waren siebzehn Jahre vorbei. Ich bin rausgekommen, und jetzt bin ich achtunddreißig. Und diese verdammte Mörderbande ist weiter an der Macht, sie sind korrupt und sie sind Geschäftemacher, aber wagen die einfachen Leute auch nur ein halbes Nein zu sagen? Ich bin wütend auf mich, dass ich so unverschämt bin, in meinem Alter noch meinen Eltern auf der Tasche zu liegen, ich tauge einfach nichts.
LIAO YIWU:
Wie alt sind deine Eltern?
ZHANG MAOSHENG:
Mein Vater ist über achtzig, meine Brüder und Schwestern haben alle Familie, sie haben es alle nicht leicht. Wir sind eine ganz normale Beijinger Familie, wir haben keinerlei Hintergrund und wir haben auch keinerlei Geld. Im August 1995 haben sie mein altes Haus abgerissen, damals war mein Wohnsitz das Gefängnis, die Regierung hat die neuen Wohnungen nach dem eingetragenen Wohnsitz verteilt, und ich habe natürlich mangels Wohnsitz nichts bekommen. Die Wohnung meiner Eltern hat gerade mal 45,78 Quadratmeter, für mich bleibt da gerade ein Zimmer von neun Quadratmetern. So alt, wie ich jetzt bin, müsste ich normalerweise längst verheiratet sein und Kinder haben und die beiden alten Leute ihr Glück genießen lassen. Aber so, wie es jetzt steht, sieht es so aus, als hätten sie mich umsonst fast zwanzig Jahre großgezogen. Sie sind wie Kerzen im Wind, ihre Zeit verrinnt, und dann lade ich ihnen auch noch meine Last auf. Sie sagen, ich kann in Ruhe leben? Aber wie soll das gehen? Ich will das nicht so.
LIAO YIWU:
Du solltest dir nicht zu viel die Schuld geben, du bist noch keine vierzig, der Weg ist noch weit.
ZHANG MAOSHENG:
Meine Mutter hat die Gesichtslähmung. Eigentlich sollte sie operiert werden, da hat sie gehört, dass ich bald zurückkomme, und hatte so eine Angst, dass sie es nicht hat machen lassen, das Krankenhaus kostet eine Menge Geld. Ich war kaum zurück in der Gesellschaft, da hat mich jemand als Straßenkehrer weiterempfohlen; ich habe für einen halben Tag Arbeit kaum mehr als hundert Kuai im Monat bekommen. [9] Mein Gott, bei dem Konsum heute in Beijing, hundert Kuai, davon wird nicht einmal ein Hund satt, ganz zu schweigen von einem erwachsenen Menschen. Deshalb bin ich nach langem Hin und Her nicht mehr dahin gegangen. Ich war zu lange im Gefängnis, dieses Konsumleben, was man dafür braucht, das habe ich nicht gelernt. Alte Männer sitzen den ganzen Tag zu Hause herum und wagen sich nicht vor die Tür. Wenn man vor die Tür geht, kostet das Geld, wenn man nichts zu essen und anzuziehen hat, das kann man noch aushalten, aber sag selbst, Beijing ist so groß, und man braucht doch Geld für den Bus. Und wenn man die weiten Wege zu Fuß geht und man bekommt Durst? Meine Eltern sind nicht mehr so gut beieinander, und ich kann nicht kochen, ich kann ihnen höchstens noch beim Abwasch helfen. Und ich kann ein paar Hausarbeiten erledigen. Sie wollen ein bisschen was sparen, damit sich eine Haushaltshilfe vom Land um sie kümmert, aber wenn eine kommen würde, wäre kein Platz für sie da. Und dann machen sie sich noch meinetwegen Sorgen, fangen bei jeder Gelegenheit an zu heulen, machen Räucherstäbchen an und beten zu Buddha. Aber in Wirklichkeit wollen sie über eine Freundin reden, ich meine, ich sehe ja noch ganz passabel aus, mir fehlt kein Ohr, und die Nase ist auch noch dran, aber wenn einem eine Wohnung und Arbeit fehlt, wie dumm muss dann eine sein, um sich auf einen einzulassen?
LIAO YIWU:
Du musst dir halt ein Herz fassen und es versuchen.
ZHANG MAOSHENG:
Jaja, so kann es jedenfalls nicht weitergehen. Meine Geschwister haben mir einen Job als Parkwächter empfohlen. Ich bin ein alter Hitzkopf und noch am gleichen Tag hin; die haben gefragt, also habe ich ihnen meine Situation geschildert. Sie haben mir nur halb geglaubt, wirklich wegen des 4 . Juni? So lange nur wegen des 4 . Juni? Anscheinend haben sie das alles verdrängt. Ein paar Leute saßen da und
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