Die Kugel und das Opium
deutlichen Worten keinen Aufstand zu machen.
LIAO YIWU:
Und dann?
LIU YI:
Er hat sich nicht mehr gemuckst, während die anderen Fahrgäste mich fremd angeschaut haben, so fremd wie die Freiheit, die ich gerade erst zurückerhalten hatte. Der Bus schaukelte und fuhr um tausend Ecken und Kurven. Ich murmelte, ganze acht Jahre, und die Route ist immer noch die gleiche? Die Nummer 9 fährt am Qianmen-Tor vorbei, wir saßen in der 10 und mussten am Tiananmen vorbei, wenn wir an der Haltestelle an der Chang’an waren, waren wir zu Hause. Doch auf einmal bog der Bus ab, der war noch nicht am Rand des Tiananmen und bog schon ab! Ich rief aufgeregt: Falsch! Ihr fahrt doch falsch! Wo wollt ihr mich hinbringen? Mein Bruder antwortete: Das hat schon seine Richtigkeit, unsere Mutter ist umgezogen zur Wukesong. Ich murmelte: Wieso wohnt sie jetzt dort? Doch jäh verstand ich, meine Geschwister hatten mich mit voller Absicht vom Tiananmen ferngehalten, die schmerzlichen Erinnerungen an diesen Ort saßen noch sehr tief.
Wir fuhren auf einem Umweg zum Grab der Prinzessin, stiegen aus, gingen wieder ein Stück zurück, die reine Zeitverschwendung, aber dann waren wir doch zu Hause. Im zweiten Stock klopfte meine Schwester, meine Mutter fragte durch die Tür, wer da sei. Diese seidenfeine Stimme, die ich seit meiner Kindheit kannte! Wie oft hatte ich von dieser Stimme geträumt! Ich wollte antworten, aber ich hatte einen dicken Kloß im Hals.
LIAO YIWU:
Acht Jahre nicht zu Hause, so lange haben beide Weltkriege gedauert!
LIU YI:
Deshalb dröhnten mir in dem Augenblick, als ich meine Mutter wiedertraf, die Ohren, als würde eine Lokomotive vorbeifahren. Und mitten in diesem Dröhnen brüllte ich: Mutter!, und ging rumpelnd in der Tür auf die Knie. Ach, acht Jahre, auf der einen Seite dieses Zeitlineals stand meine Mutter rüstig und mit pechschwarzem gebundenen Haar; auf dieser Seite stand eine Frau mit Schneeflocken im Haar, unsicher und zittrig. Sie stützte sich auf mich, als wir in die Wohnung gingen, Mutter und Sohn Hand in Hand und mit Tränen in den Augen. Sie brachte kein Wort heraus, rief nur ununterbrochen: Mein Junge, mein Junge ist wieder da, alles wird gut, alles wird gut! Ich sagte, Mama, Mama, das Warten all die Jahre, das war sicher bitter, dein Junge wird das wiedergutmachen, ich werde mich um dich kümmern, ich werde nicht mehr den Kopf verlieren und mich für nichts und wieder nichts um diesen heruntergekommenen Staat kümmern.
Wir heulten alle. Mein Bruder sagte: Komm, Alter, steh auf und sag etwas. Dann sind meine Mutter und meine Schwägerin in die Küche, Jiaozi machen. Ich lehnte am Kopfende des Bettes und hörte ihrem Geplapper zu, euer Bruder mag die Jiaozi am liebsten, wie ich sie mache, heute mache ich den Teig selbst, und ich koche sie auch selbst. Schau dir nur an, wie dünn er geworden ist in all den Jahren, ach, womöglich hat er sogar vergessen, wie Jiaozi schmecken.
Ich erwachsener Mann heulte wie ein Schlosshund. Als die Jiaozi auf dem Tisch waren und wir alle zusammen um den Tisch herum saßen, hatte ich immer noch einen Kloß im Hals. Ich bekam nichts herunter. Mutter saß ganz nah bei mir, hat mir unentwegt Jiaozi aufgelegt, aber ihre Hand zitterte, und Jiaozi sind glitschig, sie mühte sich eine ganze Weile, bis sie eins erwischt hatte, hob es mir an den Mund und sagte: Junge, du musst auf jeden Fall wenigstens eins essen, das freut deine alte Mutter. So ist das Leben, damit muss man sich abfinden, was? Ich zwang mir ein Lächeln ab, schnappte nach dem Jiaozi, wollte es ganz herunterschlingen, aber ich habe mich verschluckt.
Ich hockte auf dem Boden und hustete. So ein Familientreffen und -essen, und die Jiaozi waren alle kalt, und niemand hat sich gerührt. Es wurde dunkel, die Lampen draußen auf der Zehn-Meilen-Straße, wie wir die Chang’an auch nennen, schimmerten. Mein älterer Bruder sah, dass ich ein wenig ruhiger wurde, und sagte: Alter, da ist etwas, das wir dir die ganze Zeit verschwiegen haben, unser Vater ist nicht mehr. Als er ging, hat er noch deinen Namen gerufen. Er sagte, bevor er dich nicht gesehen hätte, werde er nicht gehen.
Ich war wie vom Donner gerührt! Wieder habe ich mich auf den Boden gekniet. Ich schaute durch das Fenster in den Himmel und machte drei Kotaus für meinen Vater, der fortgegangen war. Doch innerlich sagte eine Stimme: Ach, Vater, auch wenn du an mich gedacht hast, hättest du Mama nicht allein lassen dürfen. Ich verstehe, was du mit
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