Die Kugel und das Opium
wie eine Schweineleber.
LIAO YIWU:
Bei dem letzten Interview gab es Probleme mit dem Tonbandgerät, es tut mir wirklich leid.
LI HONGQI:
Macht nichts, wir sind alle auf demselben Weg. Außerdem freue ich mich, dass Wu Wenjian auch hier ist.
LIAO YIWU:
Fangen wir also wieder von vorne an?
LI HONGQI:
Ich bin Schaffner in einem Überlandbus, von der Zhanlan-Straße bis zum Mentougou, in der Regel brauchen wir zwei bis drei Stunden, ein Weg. Am 3 . Juni bin ich für die letzte Tour in den Bus, am Anfang wusste ich noch gar nicht, was los war, ein bisschen später dann habe ich mitbekommen, dass die Fahrgäste rauf und runter redeten, wo es brennt, wo geschossen, wo geschlagen wird, da habe ich mich noch gewundert. Aber es dauerte nicht lange, da sind über hundert Militärfahrzeuge mit eingeschaltetem Licht vorbeigedonnert, die waren vollgestopft mit bewaffneten Soldaten. Unser Bus wurde angehalten, der Konvoi hatte Vorfahrt, wir standen sehr lange. Alle waren wütend, aber niemand hat einen Ton von sich gegeben, diese rotäugigen Chop Sueys hätten es wirklich fertiggebracht, auf die Menschenmenge zu schießen.
LIAO YIWU:
Das ganze Land hatte den Verstand verloren.
LI HONGQI:
Ich nehme an, in Beijing ist das Alt und Jung zum ersten Mal passiert. Deshalb habe ich, als ich Schluss machte und nach elf in das Wohnheim der Busgesellschaft zurück bin, viele Kollegen gesehen, die dort beieinanderstanden. Sie waren voller Enthusiasmus, »damals, als wir die japanischen Teufel geschlagen haben, ist die Kommunistische Partei nicht mit so vielen Truppen hier angerückt«, hieß es.
LIAO YIWU:
Damals waren die Kommunisten noch Partisanen.
LI HONGQI:
Die Firma erreichte ein Anruf, die Angestellten und Arbeiter, die gerade in den Außenbezirken seien, sollten nicht in die Stadt zurückkommen. In der Stadt werde geschossen, hieß es, Blut fließe in Strömen, wenn noch irgendetwas passiere, die Firma könne dafür keine Verantwortung übernehmen. Aber wir wollten nach Hause, wir machten uns Sorgen, dass zu Hause irgendetwas passiert sein könnte. In ihrer Ratlosigkeit hat die Leitung der Firma extra einen Bus geschickt, um uns abzuholen. Am Anfang war noch gar nichts, aber je weiter wir kamen, umso angespannter wurde die Stimmung, in der Nähe der Apfelgartenstraße stand rechts und links alles voller ausgebrannter Militärfahrzeuge; am Xitaipingzhuang war der Boden voller Ziegelsteine und Blut, dort waren noch mehr ausgebrannte Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, die standen hie und da am Weg. Unser Bus fuhr einen Umweg nach dem anderen, ein Katz-und-Maus-Spiel wie auf dem Schlachtfeld, es war gar nicht so einfach, uns bis zu unserer Haustür zu bringen. Kaum war ich ausgestiegen, da wollten mich drei Kollegen mit Gewalt zum Tiananmen schleppen, um zu sehen, was dort los war. Ich sagte, das geht nicht, ich habe Angst, meinem kleinen Bruder passiert etwas. Die Kollegen meinten, dein kleiner Bruder ist bestimmt nicht zu Hause, wer sitzt schon in so einem entscheidenden Augenblick zu Hause herum.
LIAO YIWU:
Waren Sie alle Schaffner bei dem gleichen Unternehmen?
LI HONGQI:
Ja, wir waren auch ungefähr im gleichen Alter. Wir sind dann mit dem Fahrrad los, und als wir an die nächste Kreuzung kamen, haben wir eine Gruppe von Studenten gesehen, mit Fahnen, die schrien Parolen und klagten unter Tränen, dass die Soldaten ununterbrochen schießen würden, die hätten ganz rote Mörderaugen. In dieser Situation sind bei der Menge die Gemüter sehr hochgekocht, und mich haben sie auch angesteckt. Dann sind wir mit dem Rad weiter zur zehnten Gasse an der Xisi, da haben wir von weitem schon gesehen, dass dort eine Menge Leute eingekesselt sind. Wir also von der Seite auf die Überführung hoch. Als wir näher dran waren, sahen wir drei Soldaten auf dem Boden liegen, die waren nicht bei sich, alles war voller Blut, wir wussten auch nicht, ob sie tot oder nur bewusstlos waren. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf der Straße Leichen habe liegen sehen.
Dann sind wir noch weiter vor, immer näher ran an die Körper, die da lagen, und an die brennenden Fahrzeuge. Als wir am Muxidi waren, gab es auf einmal einen gewaltigen Knall, ein Soldat warf aus einem gepanzerten Fahrzeug eine Handgranate in die Menge. In Wirklichkeit war es eine Rauchbombe, nach der Explosion qualmten giftige Dämpfe aus ihr heraus. Alles war wütend, rieb sich die Augen und warf mit Steinen. Und hast du nicht gesehen nutzte der Soldat das
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