Die Kunst, anders zu leben
noch mit mir unterhalten.
Ehrlich gesagt hatte ich an diesem Abend keine Lust mehr auf ein Gespräch. Am nächsten Morgen mussten wir nach Amsterdam fliegen und uns vorher noch von unseren Familien verabschieden. Gepackt hatten wir auch noch nicht. Aber Aaron 5 war verzweifelt und klang so, als sei es ihm wirklich ernst. Also warf ich Jolie einen Blick zu; sie nickte zustimmend, und wir sagten Ja.
An jenem Abend kam Aaron um halb elf noch zu uns herüber, und wir unterhielten uns eine Stunde lang mit ihm, während wir unsere Koffer packten. Wir erzählten ihm alles über Afrika, über die Tätigkeit unserer Organisation und wie wir den Menschen damit helfen konnten. Aaron war sehr interessiert und stellte eine Menge guter Fragen. Nach einer Stunde war es wirklich an der Zeit, unsere Reisevorbereitungen zu beenden und schlafen zu gehen. Ich schaute immer wieder auf meine Armbanduhr. Schließlich begriff Aaron meinen Wink, wir verabschiedeten uns voneinander, und er versprach, sich bei uns zu melden, wenn wir wieder in Afrika wären.
Am nächsten Tag flogen Jolie und ich nach Europa, um uns dort mit ein paar Freunden zu treffen, bevor wir nach Westafrika weiterreisten. In der Hektik unserer Arbeit vergaß ich Aaron, und er meldete sich auch nie bei uns. Ein Jahr später reisten wir wieder in die USA und hielten einen Vortrag bei einer anderen Veranstaltung. Und raten Sie mal, wer in der ersten Reihe saß? Aaron. Nach dem Vortrag kam er auf mich zu und machte einen etwas verlegenen Eindruck. Er habe vorgehabt, meinen Ratschlägen zu folgen; doch dann sei alles anders gekommen. Er habe eine neue Beziehung begonnen und gehofft, dass etwas Ernstes daraus werden würde; deshalb habe er die Durchführung seiner Pläne verschoben.
Doch inzwischen sei seine Beziehung in die Brüche gegangen, und jetzt sei er bereit, einen neuen Anfang zu machen. Wieder wollte er sich mit mir treffen, um mir noch ein paar Fragen zu stellen. Diesmal verabredete ich mich mit Aaron in einem Café, und wir unterhielten uns eine Dreiviertelstunde lang. Viele seiner Fragen hatte er mir vor einem Jahr schon gestellt. Auch meine Antworten waren immer noch die gleichen: Hier ist unsere Broschüre; an diese Ansprechpartner musst du dich wenden; Folgendes musst du wissen, und dann brauchst du nur noch loszulegen. »Ich möchte das wirklich tun«, versicherte Aaron mir immer wieder, aber jedes Mal schwang ein zögernder Unterton in seiner Stimme mit. Als wir uns voneinander verabschiedeten, versprach er wieder, sich zu melden.
Ein weiteres Jahr verging, und ich hörte nichts von Aaron. Wieder flogen wir in unserem Urlaub nach Hause, und eines Tages lief Aaron mir ein drittes Mal über den Weg – im selben Café, in dem wir uns ein Jahr zuvor getroffen hatten. Wir führten mehr oder weniger das gleiche Gespräch wie in den vorigen beiden Jahren, aber diesmal waren meine Antworten etwas kürzer. Und die ganze Zeit über fragte ich mich: »Was ist nur los mit diesem Mann? Er scheint das tatsächlich unbedingt zu wollen, aber er ist nicht bereit, etwas dafür zu tun.« Bei unserem letzten Heimaturlaub begegnete ich Aaron zufällig wieder, und es wunderte mich nicht zu hören, dass er immer noch das Gleiche machte wie bei unserer ersten Begegnung.
Vielleicht war Aaron einfach noch nicht bereit für eine Veränderung, und der richtige Zeitpunkt wird schon noch kommen. Doch jedes Jahr, in dem ich ihm in dem Café begegnete, tat es mir leid um ihn. Ich hatte das Gefühl, dass Aaron jemanden brauchte, der ihn bei der Hand nahm und seine Entscheidungen für ihn traf – und das würde wahrscheinlich nie passieren.
Sean dagegen wartete nicht, bis sich eine Gelegenheit zu einer Veränderung ergab. Er befolgte Andy Warhols Ratschlag: »Es heißt zwar, dass die Zeit alles ändert; doch in Wirklichkeit muss man die Dinge selbst verändern.« Einen Monat nach unserer ersten Begegnung traf ich ihn wieder. Er hatte einen Block voller Notizen, Erledigungslisten und Fragen bei sich. Ich fragte ihn, wie es mit seiner Arbeit laufe. »Es gibt eine gute Nachricht«, lächelte er daraufhin. »Inzwischen bin ich noch unglücklicher in meinem Job als vorher.« In seiner Firma herrschte eine so gespannte Atmosphäre, dass er seinem Chef gegenüber einen Arztbesuch hatte erfinden müssen, um sich an diesem Nachmittag überhaupt mit mir treffen zu können. Aber es gab tatsächlich auch eine positive Nachricht: Sean arbeitete jetzt jeden Tag mehrere Stunden lang an einem neuen
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