Die Kunst des guten Beendens
längere Zeit eingegangen werden. Es wird hier bewusst nicht von Untreue und Fremdgehen gesprochen, weil nicht von einer zwingenden Monogamie in einer Partnerschaft ausgegangen wird. »Monogamie oder nicht« ist ein Thema, das von einem Paar ausgehandelt werden muss. Im Übrigen ist die Literatur, die bei Affären von Tätern und Opfern, von Betrug und Vertrauensbruch spricht und die die sogenannten Affären generell als unmoralisch und falsch und destruktiv bezeichnet, reichhaltig. Und da man weiß, dass Verbote auch dafür da sind, einzuschüchtern bzw. übergangen zu werden, wird hier für die Eigenständigkeit der Partner und deren Verhandlungsfähigkeit plädiert.
Es ist noch nicht lange her, dass Paaren eine Paartherapie verweigert wurde, wenn derjenige Partner, der eine Affäre hatte, diese nicht beendete. Oder dass eine Paartherapie verweigert wurde, weil der eine Partner sein Geheimnis zwar der Therapeutenperson anvertraute, jedoch nicht wollte, dass es sein(e) Partner(in) erfahren würde. Diese von Therapeutenseite her vollzogenen Nötigungen bzw. ihr Das-Paar-im-Stich-Lassen vernachlässigen und übersehen die Tatsache, dass ein Paar eben Hilfe sucht, weil es nicht in der Lage ist,das Problem gemeinsam zu lösen. Und weil noch nicht klar ist, was allenfalls, nicht zwingend, beendet werden muss: die Affäre oder die Partnerschaft.
Wohl fast alle Menschen hegen eine tiefliegende Angst vor Trennung und Getrenntheit. Und fast alle Paare – ob sie für kurzes oder für lange Zeit zusammen sind – haben sich mit ihren tendenziell zu hohen Erwartungen an Intensität, Zusammengehörigkeit und Sicherheit auseinanderzusetzen. Und ebenfalls damit, dass diese Erwartungen mit den Wünschen nach Begehren und Leidenschaft kollidieren. Aus der Angst vor Getrenntheit entstehen in einer Beziehung Erwartungen oder gar Vorschriften in Bezug auf den anderen, die das grundlegende Anliegen von Paaren, Bindung und Begehren in Einklang zu bringen, sabotieren können.
Bindung und Begehren längerfristig zu vereinbaren, ist eine anspruchsvolle Hürde, die Paare zu überwinden haben. Es bedarf dazu eines immer wieder zu erreichenden Gleichgewichts zwischen Getrenntheit und Zusammengehörigkeit, Verantwortung und Freiheit, Transparenz und Geheimnis – Intersubjektivität, Erotik und Intimität sind Beziehungserfahrungen, die sich auf verschiedenen Ebenen, an verschiedenen Schauplätzen und mit verschiedenen Personen abspielen können. Die Bedürfnisse äußern sich in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich.
In längeren Paarbeziehungen werden beide verwundbarer, weil der Partner lebenswichtiger wird. Das kann das Begehren vermindern und sexuelle Langeweile zur Folge haben. In der Regel wird das mit Gleichgültigkeit erklärt. Es kann jedoch aus einer wenig bewussten Angst geschehen, den Partner zu verlieren, wenn man eigenständige Wünsche äußert. Begehren setzt Stärke und Eigenständigkeit voraus. Das Begehren kann vermindert sein, weil eine emotionale Verschmelzung stattgefunden hat. Verlässlichkeit und Zueinandergehören, die in einer längeren Paarbeziehung gesucht werden, schwächen oft das Begehren danach, sich etwas vom Partner zu wünschen, das der Partner möglicherweise nichtwill. Wenn die Bedeutung, die ein Partner für einen Menschen hat, seine Fähigkeit, seine Ängste selbst zu regulieren, übersteigt, dann wird der Partner zu lebenswichtig, als dass er noch begehrt werden könnte. Der Wunsch, zu begehren und begehrt zu werden, kollidiert mit den Bedürfnissen nach Verlässlichkeit. Es gehört wesentlich mehr Mut dazu, innerhalb einer bestehenden Paarbeziehung zu experimentieren, als dazu, bisher verborgene oder versteckte Aspekte unserer Sinnlichkeit und Sexualität in einer Affäre ans Licht zu holen.
Wohl jede Partnerschaft, jedes Liebespaar wünscht sich eine gelingende Kombination von Bindung und Begehren. Erfahrene Paartherapeuten weisen darauf hin, dass das von beiden viel Mut und viel Eigenständigkeit erfordert. Die eigene Integrität zu wahren und mit einem Partner zusammenzuleben schließen sich in der Regel aus. Das kann sich im Bereich der Sexualität, beim Geld, in der Erziehung der Kinder und im Lebensstil äußern. Das Nadelöhr einer Liebesbeziehung besteht darin, die eigene Integrität zu wahren und weiterzuentwickeln, die eigenen Überzeugungen, Wünsche und Träume zu leben und gleichzeitig mit einem Partner zusammen zu sein, ohne mit ihm zu verschmelzen, ohne mit ihm emotional
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