Die Kunst des guten Beendens
Frau. Die Frau erlebt sich selbst als Opfer. Keiner von beiden ist imstande, die Beziehungskatastrophe klar zu benennen und zu offenbaren. Er hat geistig bereits sehr abgebaut. Es ist kein normales Gespräch mehr mit ihm möglich.
Eine Eskalation folgt der nächsten. Es ist kein Ende abzusehen, kein Beenden in Sicht. Es werden immer wieder Dritte, Fachpersonen, bemüht, die dann wieder abgewimmelt werden. Die Ängste werden ausschließlich als gegenwärtige erlebt, obwohl zu vermuten ist, dass sie eine unbewusste Wiederholung früherer, nicht erinnerbarer Ängste sind. Doch im therapeutischen Gespräch erfolgt keine Verknüpfung der aktuellen Situation mit der bisherigen Lebensgeschichte. Die Situation erscheint als ausweglos – für alle.
Anita ist als nicht mehr erwünschte Nachzüglerin in eine Bauernfamilie hineingeboren worden. Jedenfalls hat ihr ihre Mutter diese Version erzählt. Anita wurde aber auch verwöhnt und verhätschelt, wie sie sich erinnert. Offenbar ist sie in einer sehr ambivalenten Situation groß geworden: unerwünscht und erwünscht, beides gleichzeitig. Eine schwere Hypothek für ein Kind.
Anita hat dann Bäuerin gelernt. Danach ist sie jahrelang in der Welt herumgereist und hat auf einer dieser Weltreisen ihren Mann kennengelernt und geheiratet. Dann arbeitete sie in einem Pflegeheim als Aushilfe. Dort verausgabte sie sich derart, dass sie aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit aufgeben musste. Dann wurde sie schwanger, obwohl sie, wie sie sagte, die sexuelle Beziehung zu ihrem Mann seit Jahren abgebrochenhatte. Auch hier lässt sich eine Ambivalenz vermuten – dass sie in einem ihr unerklärlichen Moment ihren Mann ein Mal nicht abgewiesen hat und prompt schwanger wurde. Dann legte sie sich fest: sie wollte das Kind austragen.
Anita hat unbewusst immer ambivalente Situationen gesucht. Sie wollte sich nie festlegen und hat sich in gewissen Situationen doch intuitiv festgelegt: für die Heirat und für das Kind. Nachträglich leidet sie an diesen Festlegungen und hat nicht die Kraft, dort etwas zu beenden, wo es ihr nicht guttut.
Sie hat die Verantwortung für das Kind übernommen. Es bleibt die Ambivalenz, ob sie sich von ihrem Mann trennen soll, darf, muss – oder nicht. Noch immer gibt es keine Verknüpfung mit der früheren Lebensgeschichte. Die Angst und Not ist ausschließlich im Hier und Jetzt – was nicht als wahrscheinlich erscheint. Es gelingt nicht, an frühere Ängste und Nöte anzuknüpfen, die die heutige Situation verständlicher machen könnten. Das erschwert das Erarbeiten einer Lösung.
Es ist eine Situation bzw. Blockade, die PsychotherapeutInnen kennen und bedauern. Dann gilt es für die Therapeutin, die Ambivalenz der Klientin auszuhalten. Anita braucht Zeit. Doch auch da ist sie ambivalent und unterbricht die Therapie mehrmals. Sie hat noch nicht den Mut und das nötige Selbstvertrauen, um nochmals einen Blick in ihre Vergangenheit zu werfen und der Tragik der Gegenwart ins Auge zu sehen.
Ich bin bereits in meinem Buch über Versöhnung auf solche Situationen eingegangen. 26 Frauen, die geschlagen werden, kehren häufig zu denen, die sie schlugen, zurück. Nicht unbedingt aufgrund von Drohungen, sondern aus Ängsten heraus, das Leben nicht allein bestehen zu können. Auch weil sie immer wieder den Entschuldigungen und Besserungsbeteuerungen Glauben schenken. In guten Momenten vergessen die Frauen, dass es immer wieder zu Gewaltakten kommt. Sie spalten ihre Persönlichkeit und führen zwei Leben, eines als Partnerin und eines als Opfer. Das stärkt die Machtposition des Täters.
Hinter solchen Verstrickungen steht eine übergroßeTrennungsproblematik, die oft neben der Ambivalenz auch Angst und Schuldgefühle beinhaltet. Sie lassen meistens eine sehr frühe Trennungsproblematik oder einen früh entstandenen unbewussten Konflikt zwischen Bindung und Trennung vermuten. 27 Es ist nicht immer möglich, auf psychoanalytischem Weg die frühe Geschichte genügend zu erfassen und sie hilfreich mit der aktuellen Situation zu verknüpfen. Da ist auch eine Erweiterung des therapeutischen Repertoires in Richtung Verhaltenstherapie erforderlich, um im Hier und Jetzt zu verstehen, wieso die Falle immer wieder zuschnappt und wie ihr vielleicht Schritt für Schritt zu entkommen ist.
Angst und Panik bei Trennung
Trennungsangst ist eine menschliche Grundangst, aufgrund deren eine Trennung sofort als eine Bedrohung erscheint, wenn sie erwogen wird. Bereits die Entwicklung der
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